Die Kunst des Bewahrens und Wegwerfens

Es klingt nur im ersten Moment paradox: Archivieren heißt vor allem auch wegwerfen zu können. "Wenn wir einen Bestand sichten, müssen wir entscheiden, was sich zu archivieren lohnt - und was nicht.

" So umschreibt Stefan Nicolay, stellvertretender Leiter des Bistumsarchivs Trier, eine seiner wichtigsten Aufgaben.
4200 Meter Regalfläche


Würden er und seine Kollegen jedes Schriftstück aus den Beständen der kirchlichen Einrichtungen aus dem Bistum Trier einlagern, wäre bald kein Platz mehr. Rund 4200 laufende Regalmeter Platz gibt es an den Standorten im Gebäude an der Jesuitenkirche in Trier sowie im Duisburger Hof in Trier-Ruwer. Dort werden seit 1996 ebenfalls Unterlagen aufbewahrt. Von diesen insgesamt 4,2 Kilometern sind nach einer Schätzung Nicolays noch rund 750 Meter frei - Tendenz fallend.
Die jüngste Reform der Pfarreienstruktur beschert den Mitarbeitern der für das gesamte katholische Bistum Trier zuständigen Stelle einen Berg von Arbeit und Unterlagen. Die seelsorgerischen Einheiten werden im Zuge der Reform vielerorts größer. In der Folge werden auch Pfarrhäuser aufgegeben. Akten oder Kirchenbücher, die bisher dort gelagert wurden, werden nun oft in die Zentralen der Pfarreiengemeinschaften gebracht. Das ist dann die Stunde der Archivare. Sie sind deshalb zwischen der sogenannten trierischen Insel im Westerwald rund um Betzdorf und der deutsch-französichen Grenze bei Saarbrücken unterwegs, um Pfarrarchive zu bewerten und zu sichern.
Zwei Seelen in meiner Brust


Bei diesen Expeditionen in die Pfarrhäuser stellt sich dann jedes Mal die Gewissenfrage für die Archivare: Ist es sinnvoll, dieses oder jenes Schriftstück aufzubewahren oder nicht. Das ist eine kniffelige Angelegenheit. Denn manchmal sind die Akten durchaus interessant. Sie haben jedoch von Fall zu Fall stark unter der nicht immer sachgemäßen Lagerung in Kellern, Heizungsräumen oder auf Speichern gelitten. Schmutz und Schimmel sind die Feinde des Archivars.
"Da wohnen dann manchmal zwei Seelen in meiner Brust", sagt Nicolay. Lohnt sich die Reinigung und Restaurierung eines Schriftstücks oder nicht? Auch diese Frage müssen sich die Mitarbeiter des Archivs immer wieder stellen.
Ebenfalls wichtig sind andere und in die Zukunft reichende Fragen: Kann das vorliegende Stück Papier helfen, Entwicklungen nachvollziehbar zu machen? Kann eine Akte Wissenschaftlern helfen, Dinge besser zu verstehen? Sollte dem so sein, wird dieser Teil des Pfarrarchivs katalogisiert und archiviert. Der Rest ist reif für den Schredder.
Nutzer zumeist Familienforscher


Das amtliche Schrift- und Dokumentationsgut der Trierer Bischöfe, des Domkapitels, der Bistumsverwaltung, verschiedener kirchlicher Institutionen sowie der Pfarreien macht einen Großteil des Bestands aus. Vergleichsweise bescheiden ist der Umfang der Unterlagen, die für viele Nutzer des Archivs von besonderem Interesse sind. "75 Prozent der Nutzer des Bistumsarchivs sind Familienforscher, 25 Prozent Wissenschafter", sagt der stellvertretende Archivleiter. Einträge zu Heiraten, Taufen und Sterbefällen aus rund 800 Pfarreien sind vorhanden. Gerade die älteren der insgesamt rund 6500 Bände aus der Zeit vor dem Jahr 1800 sind für Familienforscher oft die einzige Möglichkeit, etwas über Vorfahren zu erfahren. Erst mit der napoleonischen Zeit gibt es ein staatliches Personenstandswesen, das ebenfalls Aussagen darüber macht, wer wen heiratete und wann wer geboren wurde und wann wer starb.
Stefan Nicolay möchte jedoch nicht, dass das Archiv rein auf die Familienforschung reduziert wird. Vielmehr sei es das Ziel, das komplette Schriftgut zu erfassen, zu katalogisieren und damit für Interessierte nutzbar zu machen. Egal, ob es um Akten der Marianischen Bürgersodalität Trier aus den Jahren 1588 bis 1971 oder um Kirchenbücher aus Büdesheim aus der Zeit um 1640 oder um Schriftstücke mit dem Thema Nationalsozialismus und Katholische Kirche im Bistum Trier (1932-1945) geht. Alles gesichtet, gelagert und dank der Arbeit des Bistumsarchivs auch zu finden. An einer ganz bestimmten Stelle des aktuell rund 3450 Regalmeter umfassenden Bistumsarchivs an den Standorten in Triers Innenstadt oder in Trier-Ruwer.

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