Im Visier der Krankenkassen: Der Arzt als Verkäufer

Trier · Sind sogenannte Igel-Leistungen notwendig oder dienen sie nur der Aufbesserung der Ärzteeinkünfte? Die Krankenkassen kritisieren, dass manche Mediziner Patienten regelrecht unter Druck setzen, damit sie für Zusatzbehandlungen extra bezahlen.

Bis zu 70 000 Euro zusätzlich könnte sich ein Augenarzt durch das geschickte Anbieten von individuellen Gesundheitsleistungen (Igel) pro Jahr sichern. Mit solchen und ähnlichen Versprechen versuchten Anbieter von Verkaufstrainings für Ärzte, Mediziner zu ködern. In den bis vor kurzem von der Bundesregierung finanziell geförderten Seminaren soll es darum gegangen sein, Ärzte als Verkäufer dieser Leistungen zu schulen. Leistungen, die die gesetzlichen Kassen nicht bezahlen, weil sie viele der Behandlungen für fragwürdig und unsinnig halten. Weil die Kassenpatienten bei den Igel- Behandlungen wie Privatpatienten behandelt werden, können die Ärzte dafür den teureren, oft bis zu 3,5-fachen Satz abrechnen. In den Seminaren sollen die Ärzte lernen, was sie sie abrechnen können und wie sie Patienten von den Igel überzeugen. Pflicht zu Bedenkzeit gefordert Die Bundesregierung müsse die Patienten besser vor unsinnigen zusätzlichen Leistungen schützen, fordert Martin Schneider, Chef des Ersatzkassenverbandes Rheinland-Pfalz. Krankenkassen und Verbraucherschützer verlangen, dass Ärzte bei Igel eine 24- stündige Bedenkzeit zwischen Beratung und Behandlung einhalten müssen. So soll der Paient die Möglichkeit erhalten, sich zu informieren und das Angebot seines Arztes noch einmal zu überdenken. Patienten sollten Igel nur dann zustimmen, wenn sie medizinisch notwendig seien, sie ausreichend von ihrem Arzt aufgeklärt wurden, eine schriftliche Vereinbarung getroffen hätten und es dafür eine transparente, nachvollziehbare Rechnung gebe, so Schneider. Oft würden Patienten von Ärzten regelrecht unter Druck gesetzt, individuelle Gesundheitsleistungen zu kaufen, kritisiert Schneider. Der Spitzenverband der Krankenkassen hat 26 der insgesamt 380 Igel untersucht. Nur drei davon sind nach Meinung der Tester "tendenziell positiv", der Großteil bringe nichts oder sei sogar schädlich. Daher würden die meisten Leistungen aus gutem Grund nicht von den Kassen bezahlt, sagt Schneider. "Mittlerweile ist es gängige Praxis, dass Patienten diese Untersuchungen und Behandlungen beim Arztbesuch angeboten werden", kritisiert Cornelia Benzin, Sprecherin der Techniker Krankenkassen Rheinland-Pfalz. Die Entscheidung für oder gegen eine individuelle Gesundheitsleistung treffe aber immer noch der Patient. Die Ärzte wehren sich gegen die Kritik. Die meisten zusätzlichen Leistungen seien sinnvoll, heißt es bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland- Pfalz. "Therapiefreiheit und die Freiheit des Patienten Leistungen nachzufragen, sehen wir als wichtiges Gut unserer freien Gesellschaft", verteidigt KV-Sprecher Rainer Saurwein die Igel. Den Kassen gehe es bei ihrer Kritik nicht um den medizinischen Nutzen. Sie beklagten vielmehr "den Machtverlust, wenn sie nicht mehr alles kontrollieren können, was zwischen Arzt und Patient besprochen und vereinbart wird", sagt der Dauner Zahnarzt Rainer Lehnen, Sprecher der Landeszahnärztekammer. "Dem Patienten wird kurzerhand abgesprochen, mündig zu sein." In Zahnarztpraxen seien zusätzliche Privatleistungen "seit vielen Jahren üblich und werden völlig unproblematisch täglich erbracht", sagt Lehnen. Das funktioniere deshalb so gut, "weil es bei uns nicht um Leben oder Tod geht, sondern in aller Regel um Komfort."Extra: Igel


Individuelle Gesundheitsleistungen (Igel) sind Behandlungen, die nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen gehören. Sie müssen von Patienten selbst bezahlt werden. Gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten für alle Diagnosen und Behandlungen, wenn sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Zu Igel-Behandlungen gehören unter anderem einige Ultraschalluntersuchungen, Akupunktur oder auch Grüner-Star-Untersuchungen. Auch Reiseimpfungen und Malaria-Schutz fallen unter die 380 individuellen Gesundheitsleistungen. Die Techniker Krankenkasse informiert in dem Ratgeber "Selbst zahlen?" warum Igel nicht von den Krankenkassen übernommen werden können und worauf man achten sollte, wenn man eine solche Leistung angeboten bekommt oder selbst wünscht. Weitere Informationen: http://www.tk.de/tk/broschueren- und-mehr/gesundheitsbroschueren/ igel/224108Extra: Streikdrohung


Ärzte drohen bei Honorarkürzungen mit Streik: Im Streit um die von den Krankenkassen geforderten Honorarkürzungen drohen Ärzte mit Streik. Das Vorgehen der Kassen sei skandalös und gefährde die flächendeckende medizinische Versorgung in Deutschland, kritisierten elf große Ärzteverbände. "Den Verantwortlichen der Krankenkassen muss klar sein, dass die niedergelassenen Ärzte in Deutschland gemeinsam protestieren werden, sollten die rechtswidrigen Forderungen der Kassen Gehör finden." Viele Praxen von Fach- und Hausärzten blieben dann geschlossen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Die Kassen wollen die Vergütung für die 130 000 niedergelassenen Mediziner um gut sieben Prozent oder 2,2 Milliarden Euro senken. Sie begründen dies mit einer in ihrem Auftrag erarbeiteten Studie, wonach die niedergelassenen Ärzte überbezahlt sind. Die Kassenärzte fordern dagegen eine Erhöhung ihrer Honorare um elf Prozent oder etwa 3,5 Milliarden Euro. dpa

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