Kein Umweg um Einschnitte

TRIER. Die Deutschen haben jahrelang auf Kosten der kommenden Generationen gelebt - und müssen nun die Weichen stellen, bevor es zum Verteilungskampf zwischen Alt und Jung kommt.

Für den Trierer Volkswissenschaftler Eckhard Knappe gibt es für die Misere des deutschen Sozialsystems einen Sündenbock: die Kinderlosen. Denn der Sozialstaat ist auf der Bevölkerungspyramide und dem Umlagesystem aufgebaut - viele Junge und Berufstätige zahlen Beiträge für wenige Alte. Doch die Realität ist seit Jahren eine ganz andere: Im Jahr 2008 wird die Bevölkerungspyramide kippen, es wird mehr Alte geben, die Geld aus den Sozialkassen bekommen, als Junge, die in sie einzahlen. Pillenknick, Frauenerwerbstätigkeit und eine einseitige steuerliche Bevorzugung von Kinderlosen haben dazu geführt, dass immer weniger Kinder geboren werden - die Geburtenquote liegt bei mageren 1,3 Kindern pro gebährfähige Frau. Selbst wenn es - bei positiven Berechnungen - bei dieser Quote bliebe, wäre das deutsche Sozialsystem nicht mehr aufrecht zu erhalten. Während es in den USA allerdings eine Vorschrift gibt, dass Gesetze nur dann erlassen werden können, wenn die Vor- und Nachteile für kommende Generationen bekannt sind, tut sich Deutschland mit zukunftsträchtigen Konzepten bislang schwer. "Wir haben vor 30 Jahren begonnen, auf Kosten der nachkommenden Generationen zu leben", stellt Knappe fest. Nun müsse es einen fairen Kompromiss der Generationen geben. Rentenabschläge für Frührentner, eine familienfreundlichere Politik und Zuwanderung nennt Knappe als zentrale Themen. Dabei den sozialen Aspekt nicht über Bord zu werfen, wird die größte Herausforderung sein. "Es muss gelingen, nur noch die sozial Schwachen zu schützen und nicht die, die sich sozial schwach fühlen", gibt der Salmrohrer CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Rauen als Devise aus. In der Tat scheint die Zeit günstig, dass etwas passiert. "Natürlich könnte man die Reform noch ein Jahr hinstrecken, aber wir haben jetzt die Chance in der Politik, mit Ehrlichkeit viel zu erreichen", sagt Arne Fuhrmann, Ex-Bundestagsabgeordneter und SPD-Obmann in der langjährigen Enquête-Kommission "Demographischer Wandel". Dabei trauen gerade die ehemaligen Mitglieder der Enquête bei der Reform des Sozialstaats ihrem Kollegen Bert Rürup in seiner Kommission viel zu. "Er ist sich sehr bewusst, dass er eine schwierige Rolle zu tragen hat", sagt beispielsweise der Trierer Psychologe Joachim Wilbers. Und Eckhard Knappe ergänzt: "Wenn ich jemandem etwas Bahnbrechendes zutraue, dann ist es Rürup." Das gilt auch für Bundeskanzler Gerhard Schröder, der bei seiner Rede zur Lage der Nation zwar harte Einschnitte für alle angekündigt hat, aber für Konkretes auf den Wissenschaftler und ein Ergebnis im Mai verwiesen hat. Selbst wenn tiefgreifende Reformen durchgesetzt werden, ist sich der Trierer Gesundheitsökonom Knappe allerdings sicher: "Es wird in der Übergangszeit ein Hauen und Stechen zwischen den Generationen geben. Das ist aber unvermeidbar".

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