EU-Kommission überarbeitet Taxonomie Atomkraft und Gas bekommen Klima-Gütesiegel

Es hagelte Einwände, als die EU Silvester ihren ersten Taxonomie-Vorschlag vorlegte, mit dem privates Kapitel klimafreundlich gelenkt werden soll. Nun revidierte die Kommission Details zum grünen Label für Atom- und Gasenergie - aber in eine Richtung, die Klimaschützer provoziert. Bekommen sie ein Veto hin?

Demonstration von Atomkraftgegnern vor dem Europäischen Haus am Mittwoch in Berlin.

Demonstration von Atomkraftgegnern vor dem Europäischen Haus am Mittwoch in Berlin.

Foto: dpa/Fabian Sommer

Intern war die neue EU-Empfehlung für Investitionen in klimafreundliche Kraftwerke gar nicht mal so sicher, wie es zu Jahresbeginn den Anschein hatte. „Besser keine Taxonomie als diese“, war auf den Fluren des Europaparlamentes selbst von Politikern zu hören, die es grundsätzlich begrüßten, auch Atom- und Gaskraftwerken das Klima-Siegel zu geben. Die Auflagen des ersten Entwurfes seien zu hoch. Schon schien eine ungewöhnliche Allianz aus Atomkraftgegnern und Gaskraftbefürwortern im Entstehen. Mit einem möglichen Aus für das Projekt als Folge. Denn um den Kommissionsentwurf zu stoppen, muss entweder eine 20:7-Mehrheit der EU-Staaten auf die Bremse treten. Oder eben eine einfache Mehrheit des Parlamentes.

Die mit Spannung erwartete Antwort der Kommission feuerte am Mittwoch den Protest der Klimaschützer um so mehr an. Denn die Kommission hielt nicht nur am grundsätzlichen Kurs fest, auch mit Atomenergie und Gaskraftwerken die EU auf die Spur der Klimaneutralität zu bringen. Sie lockerte im Detail auch etliche Stellschrauben. Statt klimafreundliche Gase schon ab 2026 beimischen zu müssen, haben die Kraftwerke nun bis 2035 Zeit, um zum Beispiel auf Wasserstoff umzustellen. Auch bei den Nuklearbetrieben müssen Brennstoffe mit geringerem Unfallrisiko nicht mehr sofort, sondern erst ab 2025 genutzt werden. Flexibilität auch bei den CO2-Ausstoßmengen. Wer am Anfang mehr produziert, muss nur eher und schneller davon runterkommen. Vieles wird in die Zukunft geschoben - auch der Nachweis, beim Atommüll über sichere Deponien zu verfügen.

Zwischen den Zeilen lässt sich damit aus dem neuen Entwurf herauslesen, dass sich die EU-Kommission weniger von den massiven Eingaben von AKW-Gegnern und Klimaschützern beeindrucken ließ, sondern den Kernkraftinteressen Frankreichs und den Gaskraftinteressen Deutschlands folgte. Die FDP reklamierte die Korrekturen von Brüssel auch sogleich als ihren Erfolg in Berlin. „Ohne massive Investitionen in neue Gaskraftwerke wäre der Kohleausstieg in Deutschland nicht nur 2030, sondern auch weit darüber hinaus völlig unrealistisch“, meinte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler. Er verwies darauf, dass seine Partei sich in der Ampelkoalition für eine entsprechende Positionierung der Bundesregierung gegenüber der Kommission eingesetzt habe.

Es verwundert nicht, dass die Kommission eine ähnliche Argumentation verfolgt. Sie sieht allerdings nicht nur die Gas-, sondern auch die Atomkraft als Brückentechnologie an, um den Ausstieg aus der Kohleverstromung zu erleichtern. Länder, die den Ausstieg schon geschafft hätten, könnten damit ihren Abschied vom Öl forcieren. In der Kommission werden Beamte bei der Verteidigung der Taxonomie nicht müde zu betonen, dass auch nach einer Einstufung als empfehlenswert im Sinne der Klimaziele Atom und Gas „nicht klimaneutral, nicht erneuerbar“ seien. Es bleibe dabei, dass in der EU die Zukunft den Erneuerbaren gehöre.

Genau das bezweifeln vor allem die Grünen. Atomkraft und Erdgas seien weder grün, noch nachhaltig. „Sie haben in der grünen Taxonomie für nachhaltige Finanzen nichts zu suchen“, sagt der Europa-Abgeordnete Michael Bloss. Wer in schrottreife Atommeiler investieren solle, könne das auch ohne die Taxonomie tun. Aus seiner Sicht ist über die offizielle Investitionsempfehlung der EU das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vier Monate haben die Mitgliedsstaaten nun Zeit, Stellung zu nehmen. Erst wenn 20 dagegen stimmen und dabei zugleich 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, ist die Taxonomie auf diesem Weg ausgebremst und kann nicht zum 1. 1. 2023 in Kraft treten. Ein anderer wäre eine einfache Mehrheit im Europaparlament. „Ich bin überzeugt, dass eine Mehrheit gegen den Vorschlag der EU-Kommission möglich ist“, erklärt Bloss.

Österreich kündigte bereits an, den dritten Weg zu versuchen und Klage gegen die Taxonomie beim Europäischen Gerichtshof einzulegen. Wien glaubt, dass die Kommission damit ihre Kompetenzen überschreite. Kommissionsvertreter halten dagegen, dass jedes Mitgliedsland über seinen Energiemix selbst bestimme. Ob sich Berlin der Klage anschließt, wie von den Grünen gewünscht, ist noch völlig offen. Die Regierung werde den neuen Vorschlag nun erst einmal „prüfen“, sagte ihr Sprecher.

Markus Pieper, der Organisator der Unionsabgeordneten in Brüssel, hat bereits geprüft - und empfiehlt dem Parlament die Zustimmung „Die Gasbewertung hilft der Energiewende und den Energiepreisen in Deutschland“, unterstreicht der CDU-Politiker. Es werde auch für private Investoren attraktiv, in neue Gaskraftwerke einzusteigen, zudem bekomme die Umstellung auf Wasserstoff eine „realistische Perspektive“. Er warnte die Bundesregierungen in Wien und Berlin: „Die klaren Sicherheits- und Technologievorhaben sollten Deutschland und Österreich jetzt davon abhalten, sich in die Belange Finnlands oder Frankreichs einzumischen.“

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