Ab in den Süden

BERLIN. Sie ist nicht die erste Studie zur Bevölkerungsentwicklung, doch eine der detailliertesten: "Deutschland 2020" wagt einen Blick in die Zukunft. Ein Blick, der in manchen Regionen wenig Hoffnung macht.

Das Szenario ist spektakulär. Die "blühenden Landschaften", die Ex-Kanzler Helmut Kohl den Menschen in den neuen Bundesländern nach der Wende versprochen hat, werden auf gruselige Weise Wirklichkeit. Im Osten der Republik vergreisen und verwaisen nämlich ganze Landstriche - mit der Folge, dass die Natur wieder aufblüht und großflächige Reservate schafft für fast vergessene Arten wie Wolf und Luchs. Doch auch in vielen westlichen Problemzonen wird Ödnis Einzug halten, wenn eine Entwicklung andauert, die alarmierende Ausmaße angenommen hat. Das Berliner Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung (Berlin-Institut) hat das spannende Thema unter die Lupe genommen und hat dabei Entdeckungen gemacht, die eigentlich die noch immer schnarchende Politik aufwecken müssten. Denn durch die demografische Entwicklung wird sich nicht nur die Alterspyramide der Deutschen, es werden sich auch Gesellschaft, Wirtschaft und Landschaft radikal verändern. Demografisch, sagt Hans Fleisch vom Berlin-Institut, "sind wir schon jetzt nicht mehr zukunftsfähig". Wenn sich nichts Grundlegendes ändere, sei Deutschlands Weg in die Zweite Liga nicht mehr aufzuhalten. Das Institut hat die Auswirkungen dieses Wandels anhand von 22 Kriterien untersucht (siehe Hintergrund) und dabei die erste flächendeckende Rangliste in Sachen Zukunftsfähigkeit aller 440 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte erstellt. Wichtigste Erkenntnis: Kindermangel, Abwanderung, und gottverlassene Gegenden bleiben nicht auf den Osten beschränkt. Auch im Westen werden ganze Regionen veröden. Das Institut nennt vor allem Südost-Niedersachsen, Nordhessen und Oberfranken, aber auch das Saarland - und das Ruhrgebiet. Der Pott sei "die größte westdeutsche Abstiegsregion", bis zum Jahr 2020 würde der Bevölkerungsschwund voraussichtlich eine halbe Million Menschen betragen. Die bereits heute schon zu beobachtenden Auswirkungen sind, in Ost und West gleichermaßen, dramatisch: Junge Leute ziehen weg in Wachstumsregionen, die alten Menschen bleiben. Investoren verlieren ihr letztes Rest-Interesse, Geschäfte schließen, und irgendwann, so Rainer Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts, "wird der Zigaretten-Automat an der Ecke das letzte Zeichen von Infrastruktur sein". Wo Schatten ist, ist aber auch Sonne. Und die scheint in der Zukunft noch stärker im Süden. Baden-Württemberg und Bayern sind nämlich von allen Bundesländern am besten für die Zukunft gerüstet. Von den 20 zukunftsfähigsten Kreisen der Studie liegen 13 in Bayern, sechs in Baden-Württemberg.Die Zukunft liegt in Bayern

Vor allem die Gebiete um München und Stuttgart entfalten einen magnetischen Sog. An der Spitze der Gesamtwertung liegt der oberbayerische Landkreis Eichstätt. Vor den Toren Ingolstadts gelegen, profitiert er von den Audi-Werken und einer gesunden Wirtschaftsstruktur. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung ist jünger als 20 Jahre. Der düstere Gegenpol dazu liegt im Altenburger Land (Thüringen), das die schlechteste Wertung erhielt. Seit 1990 hat der Kreis 13 Prozent seiner Bevölkerung verloren. Vor allem junge Frauen haben die Region verlassen. Auf 100 Männer der Altersklasse 18 bis 29 Jahre kommen nur noch 82 Frauen. Zugleich ist die Wirtschafts- und Kaufkraft mit die niedrigste der Republik. In der Gesamtbewertung kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass in Deutschland ein krasses Nord-Süd-, sowie ein Ost-West-Gefälle droht. Manche Dörfer und Kleinstädte würden sich langfristig kaum noch am Leben erhalten lassen.

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