Die Linken und ihr "roter Kretschmann"

Berlin/Erfurt · Wird mit einem linken Ministerpräsidenten in Thüringen auch im Bundesrat alles sozialistischer? Das klingt bei Bodo Ramelow nicht so. Er sieht sein Machtzentrum nicht in Berlin, sondern in Erfurt - was linke Dogmatiker enttäuschen könnte.

Berlin/Erfurt. Bodo Ramelow wird bereits in dieser Woche seinen ersten bundespolitischen Auftritt haben. Am Donnerstag kommen die Ministerpräsidenten der Länder in Berlin zu ihrem turnusmäßigen Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammen. Es geht um die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs sowie die Energiewende. Und der Thüringer Ramelow, der erste Regierungschef der Linken in einem Bundesland, wird natürlich mit dabei sein.Mehr Stimmen im Bundesrat


Genauso wie in der Woche darauf bei der letzten Sitzung des Bundesrats im alten Jahr. Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, schwärmt deshalb schon von einem "neuen Machtzentrum" in Deutschland. Schließlich hätten die von Linken, SPD und Grünen regierten Länder im Bundesrat jetzt eine "Gestaltungsmehrheit" (zur Machtverteilung in der Länderkammer: siehe Grafik oben). Tatsächlich bringen die Landesregierungen, in denen Union und SPD unter sich sind, oder jeweils allein regieren, im Bundesrat nur noch 27 von insgesamt 69 auf die Waage. Vom "Durchregieren" der großen Koalition Angela Merkels kann also keine Rede sein. Insgesamt verfügen rot-rote, rot-grüne und rot-rot-grüne Koalitionen in der Länderkammer über 37 Stimmen. Die Linken können sich über ihre Kabinettsbeteiligungen in Thüringen und Brandenburg nunmehr auf acht Stimmen davon stützen. Bei der Tagung ihres geschäftsführenden Vorstands am Wochenende im thüringischen Elgersburg wurde der politische Machtzuwachs denn auch gefeiert.TV-Analyse Bundespolitik


Nur, was fängt die Linkspartei damit an? Euphorie à la Kipping ist fehl am Platze. Denn Ramelow selbst hat in Elgersburg klargemacht, dass ihm Parteibeschlüsse im Zweifel herzlich egal sind, wenn es um Entscheidungen in der Länderkammer geht. Er sei "nicht der verlängerte Arm" der Linken im Bundesrat, ließ Ramelow anschließend in einem Zeitungsinterview wissen. Das habe er den Spitzen seiner Partei "in aller Deutlichkeit" gesagt.
So betrachtet sind die Parallelen zu den Grünen verblüffend. Auch dort haben die Parteivorsitzenden im Ernstfall wenig zu melden. Das Machtzentrum liegt in den Ländern, wo die Grünen, anders als im Bund, blendend positioniert sind. In immerhin acht Ländern sitzt die Partei mit am Kabinettstisch. Davon sind die Linken zwar weit entfernt. Aber mit Ramelows Triumph in Erfurt werden auch bei ihnen die politischen Gewichte neu justiert.Ramelow ein Sozialdemokrat?


Wie schmerzhaft das in der Praxis sein kann, haben die Grünen erfahren müssen, als ihr einziger Minsterpräsident, Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann, im September entgegen der eigenen Parteilehre im Bundesrat einem Gesetz zur Mehrheit verhalf, das eine schnelle Abschiebung von Asylsuchenden aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina erleichtert. Das Zeug zum "roten Kretschmann" hat der eigensinnige Ramelow allemal. Vielen in der Linkspartei gilt der gebürtige Niedersachse ohnehin als verkappter Sozialdemokrat.
Enttäuschungen für linke Dogmatiker sind also programmiert. Der interne Konflikt zwischen Pragmatikern und Prinzipienreitern könnte sich noch zuspitzen. 2016 wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch dort eine rot-rot-grüne Regierung mit linkem Regierungschef zustande kommt. Aus Sicht des Realo-Flügels wäre das ein Meilenstein vor der nächsten Bundestagswahl 2017.

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