Hinterm Billigschleier

Respekt, Herr Clement. So deutlich wie der Bundeswirtschaftsminister hat wohl noch niemand erklärt, dass es besser ist, sich ein oder zwei Euro pro Stunde dazu zu verdienen, statt nur staatliche Hilfen zu kassieren, weil man keinen anderen Job findet.

Zu arbeiten, hat auch immer etwas mit Selbstwertgefühl zu tun. Zumal die Empfänger von Arbeitslosengeld II ihr Einkommen dadurch deutlich aufbesssern können. Das ist sozial, es ist eine individuelle Perspektive - insofern sind Vergleiche zur NS-Zeit ganz besonders falsch und dämlich. Aber: Ein-Euro-Jobs lösen das Problem der Arbeitslosigkeit nicht, wie man glauben könnte, wenn man den Wirtschaftsminister reden hört. Sie verbergen es nur hinter einem subventionierten Billigschleier. Dazu bedarf es schon neuer, regulärer Stellen. Typisch Clement. Es vergeht keine Woche, wo der Ungeduldige nicht mit Zahlen jongliert, die Segnungen von Hartz IV in kühne Versprechungen kleidet und viele Hoffnungen weckt. Diesmal also werden 600 000 Langzeitarbeitslose mit den Ein-Euro-Jobs in Beschäftigung gebracht. Sagt Clement. Wir kennen diese Zahlenspielchen zur Genüge, sie hören sich toll an, bestehen dann aber den Praxistest meist nicht. Also sollte man gleich darauf verzichten, einen Politiker daran zu messen - Erinnern ist jedoch oberste Pflicht. An Clement wird man im kommenden Jahr noch oft denken, weil seine Ein-Euro-Job-Weissagung wahrscheinlich (wie manch andere übrigens auch) in der Form nicht eintreten wird. Die Fakten sprechen bislang jedenfalls dagegen. Denn die klammen und Not leidenden Kommunen sind am Zuge: Denen stellt der Minister zwar satte 6,35 Milliarden Euro bereit, für Clements Wunsch nach massiver Ausweitung von Beschäftigungsmaßnahmen à la Spielplatz Säubern oder Straßenschilder Putzen reichen die Mittel aber bei weitem nicht aus. Fleißig nutzen dürften die Ein-Euro-Chance daher die Wohlfahrtsverbände. Nur zu welchem Preis? Der Verdrängungsprozess im sozialen Bereich ist bereits immens, und er wird durch die Billig-Kräfte nur noch verstärkt. Damit ist das Kernproblem benannt. Ein-Euro-Jobs sind eine erhebliche Konkurrenz zu regulären Arbeitsplätzen - und es gibt keine Schutzmechanismen, die Hartz IV vorsieht. Ein Fehler im System. Das Prinzip lautet schlicht: Wettbewerb ist Wettbewerb. Es kommt hinzu, dass Anreize, sich einen Job im ersten Arbeitsmarkt zu suchen oder aber einen anzubieten, hinten rüber fallen. Wie so oft liegt der Fehler damit im rot-grünen Detail. Trotz aller Pferdefüße gilt: Arbeiten ist nun mal besser als nicht zu arbeiten. Der Ein-Euro-Job ist dafür ein Instrument, ein Versuch, und zwar kein demotivierender. Aber leider ist er einer mit vielen Risiken und Nebenwirkungen. nachrichten.red@volksfreund.de

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