"Jemand hat die Hand über Amri gehalten"

Berlin · Der Geheimdienstexperte sagt: Ohne das Versagen der Behörden hätte der Anschlag des Tunesiers in Berlin verhindert werden können.

Berlin Die Versäumnisse in Berlin im Fall Anis Amri sind für den Geheimdienstexperten und Vize-Vorsitzenden des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, André Hahn (Linke), ein weiterer Beleg dafür, dass das Attentat des Tunesiers hätte verhindert werden können. Es gebe Parallelen zum Behördenversagen beim rechten Terrornetzwerk NSU, so Hahn im Gespräch mit unserer Redaktion. Herr Hahn, gibt es noch irgendeinen Zweifel daran, dass Anis Amri hätte gestoppt werden können?André Hahn Nein. Daran besteht aus heutiger Sicht überhaupt kein Zweifel mehr. Es gab im Laufe des Jahres 2016 mehrfach Möglichkeiten, Amri zu verhaften und ihn wegen diverser Straftaten anzuklagen. Durch entschlossenes Handeln der Behörden hätte man also den grausamen Anschlag verhindern können. Was jetzt in Berlin herausgekommen ist, ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der Opfer und ihrer Angehörigen. Wie erklären Sie sich die Vorgänge in Berlin?Hahn Neu ist ja, dass man im November offenbar auch gerichtsverwertbare Belege für einen gewerbsmäßigen Drogenhandel Amris hatte und eine Festnahme geplant war. Die spannende Frage ist, warum sie dann wieder nicht erfolgt ist. Haben Sie darauf schon eine Antwort?Hahn Keine abschließende. Aber ich frage mich, wer eigentlich immer wieder die Hand über Amri gehalten hat. Waren die Geheimdienste vielleicht doch mehr involviert als bisher zugegeben? Damit meine ich inländische wie ausländische. Anders ist es eigentlich nicht erklärbar, dass jemand immer wieder Straftaten begeht und jedes Mal davonkommt. Beweise, die eine Festnahme gerechtfertigt hätten, lagen jedenfalls ausreichend vor. Erklärt sich so auch der Vertuschungsversuch im Berliner Landeskriminalamt?Hahn Vielleicht. Wenn Polizeibeamte Unterlagen fälschen, geht es aber eher darum, eigenes Versagen zu verschleiern. Mir liegen die Dokumente zwar nicht vor, auf die sich der Berliner Innensenator bezieht. Aber wenn ein Minister Strafanzeige gegen sein eigenes Landeskriminalamt stellt, dann gibt es wohl ernstzunehmende Hinweise auf strafbare Handlungen. Sehen Sie Parallelen zum Umgang der Behörden mit dem rechten Terrornetzwerk NSU?Hahn Es handelt sich um unterschiedliche Sachverhalte und Personengruppen. Aber auch beim NSU war man trotz vieler V-Leute nicht im Stande, die Gesuchten aufzuspüren, bevor sie die Morde begangen haben. Auch im Fall Amri waren Geheimdienste involviert, und die Tat wurde nicht verhindert. Es kommt ein schlimmer Vorfall zum nächsten. An vielen Stellen wurde unprofessionell und unkoordiniert gearbeitet. Das bleibt ein unentschuldbares Versagen. Ist deshalb ein Untersuchungsausschuss des Bundestages notwendig?Hahn In den wenigen Wochen bis zur Bundestagswahl ist eine seriöse Arbeit und Zeugenbefragung nicht mehr zu leisten. Das werden wir also zu Beginn der nächsten Wahlperiode entscheiden müssen. Die Aufarbeitung des Attentates war bislang im Bundestag jedenfalls völlig unzureichend. Das liegt auch daran, dass wir keinerlei Unterlagen aus Nordrhein-Westfalen und Berlin einsehen konnten. Hagen Strauß Interview André Hahn

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