"Mindestlöhne durch die Hintertür"

BERLIN. Im Kampf gegen das Lohndumping vor allem bei osteuropäischen Billigarbeitern in Deutschland will die Bundesregierung das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Branchen ausdehnen.

Die harsche Unternehmerschelte von SPD-Chef Franz Müntefering soll offenbar möglichst rasch durch politische Taten untermauert werden. Im Kampf gegen die Billiglohn-Konkurrenz aus Osteuropa verständigte sich das Bundeskabinett gestern auf Eckpunkte zur Ausweitung des so genannten Entsendegesetzes. Am 11. Mai will die Regierung einen Gesetzentwurf dazu verabschieden. Nach den rot-grünen Vorstellungen könnten künftig in allen Branchen tarifliche Mindestlöhne gelten, die hier zu Lande auch für ausländische Beschäftigte verbindlich wären. Ob es allerdings jemals dazu kommt, hängt nicht nur von den Tarifparteien ab. Auch der Bundesrat muss mitspielen. Doch die Opposition hat erst einmal empört abgewinkt. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aus dem Jahr 1996 verpflichtet ausländische Arbeitgeber, die Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden, den tariflichen Mindestlohn zu zahlen. Diese Bestimmung gilt bereits für das Bauhauptgewerbe, den Maler- und Lackiererbereich sowie das Dachdeckerhandwerk, Teile der Schifffahrtsbranche und für das Abbruchgewerbe. Als unterstes Lohnniveau ist der Satz der niedrigsten Lohngruppe in den jeweiligen Tarifverträgen maßgebend. Ohne einen bundesweit gültigen Flächentarifvertrag kann das Entsendegesetz also nicht greifen. Und spätestens hier beginnt das Problem, denn die Billiglohn-Konkurrenz ist zumeist in solchen Branchen akut, die entweder gar keine oder keine bundesweit geltende Vergütungsregelung haben. Das betrifft die Landwirtschaft, Teile des Handwerks, das Hotel- und Gaststättengewerbe und die so genannte Systemgastronomie von Burger King bis Mc Donald's. Auch die katastrophale Lage der Arbeitnehmer in vielen Schlachtbetrieben bliebe von einer Ausweitung des Entsendegesetzes unberührt. Zumal es sich bei den jüngst bekannt gewordenen Fällen um illegale Beschäftigung handelt, die durch strafrechtliche Maßnahmen bekämpft werden muss. Der Anteil der tarifgebundenen Wirtschaftszweige ist nicht einmal den Gewerkschaften bekannt. Die Regierung hofft aber, dass die Tarifvertragsparteien in Branchen mit Lohndumping schon aus eigenem Antrieb flächendeckende Lösungen schaffen. Stoiber brachte Diskussion ins Rollen

Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Gerd Andres, räumte ein, dass bisher nur das Gebäude-Reinigerhandwerk bereit ist, von der Ausweitung des Entsendegesetzes zu profitieren. Auf Antrag ihrer Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung würde der Bundeswirtschaftsminister den bereits geltenden Tarifvertrag dann für allgemeinverbindlich erklären. Mit diesem Schritt wären auch jene Branchen-Unternehmen in der Pflicht, die bislang keinen Tariflohn zahlen. Nach dem Entsendegesetz reicht zur Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit allerdings auch der Antrag von nur einer Tarifpartei aus. Daran stoßen sich CDU und Wirtschaft gleichermaßen. Unions-Fraktionsvize Ronald Pofalla sprach von einem "Mindestlohn durch die Hintertür", den CDU und CSU rundweg ablehnen. Auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt klagte, dass die Ausweitung des Entsendegesetz einer Festlegung von Branchenmindestlöhnen "ohne Konsens" der Tarifvertragsparteien gleich käme. Dabei ließen sich "alle bisher bekannt gewordenen Missbrauchsfälle mit den bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten unterbinden", meinte Hundt. Staatssekretär Andres blieb an dieser Stelle schwammig: "Wir haben kein Interesse daran, das einseitig zu verordnen." Angesprochen auf der Haltung der Union erinnerte Andres an CSU-Chef Edmund Stoiber, der die Diskussion um Mindestlöhne vor wenigen Wochen selbst ins Rollen gebracht hatte. Laut Pofalla ist die Union nur zu einer partiellen und befristeten Erweiterung des Entsendegesetzes auf einzelne Branchen bereit. Das bedürfe aber einer "grundsätzlichen Prüfung". Auch über die konkreten Wirtschaftsbereiche hielt sich Pofalla bedeckt. Hier stehe die Regierung "in der Bringschuld".

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