Rot-Grün im Nahkampf

BERLIN. Nach der Schelte von SPD-Chef Franz Müntefering sehen viele Grüne Rot: Missstimmungen in der Koalition treten offen zutage. Gleichwohl wollen die Verantwortlichen "nach vorne spielen" und "Tore schießen".

Gesagte Sätze lassen sich nicht mehr zurückholen, aber immerhin interpretieren. Die Grünen-Schelte des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, der am Wochenende das "ewige Palaver" mit dem Koalitionspartner kritisiert und ihm zudem "kleinkariertes" Verhalten vorgeworfen hatte, stieß am Montag auf die gesamte Palette möglicher Echos. Während sich die Regierung nach den Worten ihres Sprechers Thomas Steg nicht angesprochen fühlte, sagte SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter, "die gesamte Koalition" sei gemeint gewesen. Und während sich der grüne Ökoexperte Reinhard Loske über den "oberlehrerhaften" Ton des Genossen ärgerte, beschloss seine Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, in Münteferings Aussage "ein klares Bekenntnis zu Rot-Grün" zu erkennen. Ungeachtet des angestrengten Bemühens, den Streit zu übertünchen, weiß man in den Führungsgremien der beiden Regierungsparteien sehr genau, dass es eng geworden ist nach der Entwicklung der letzten Tage und Wochen. Entsprechend gedrückt war dem Vernehmen nach die Stimmung in den Vorstandssitzungen am Montag. Harald Schartau, der SPD-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen, wo am 22. Mai gewählt wird, sprach sich selbst Mut zu: "Wir können die Wahl gewinnen." Vor nicht allzu langer Zeit hieß es noch: "Wir werden die Wahl gewinnen." Nach den deprimierenden Vorgängen von Schleswig-Holstein, wo ein "Verräter" (Müntefering) die rot-grüne Minderheitsregierung verhindert hat, zollt man den Gegebenheiten jetzt offenbar Tribut. An der Waterkant hat die SPD nicht nur eine Wahl verloren, sondern auch eine Ministerpräsidentin - und das gegenseitige Vertrauen. "Jeder misstraut jedem", sagte der Landesvorsitzende Claus Möller am Montag in Berlin. Kampf bis zum Abpfiff

Parteichef Müntefering versuchte in der Vorstandssitzung zwar, das Beste aus der Situation zu machen, doch es blieb beim Versuch. Auf den Tag genau ein Jahr war er gestern im Amt, doch "es gab nichts zu feiern". Allerdings ist der Fußballfan nach wie vor vom Sportsgeist beseelt, der Kampf bis zum Abpfiff verheißt. "Die Zeit der Querpässe ist vorbei", forderte er. Fortan dürfe nur noch "nach vorne gespielt" werden. Man müsse rasch daran gehen, "Tore zu schießen". Das ist leichter gesagt als getan. Auch der so genannte Job-Gipfel am vergangenen Donnerstag hat keinen Stimmungsumschwung erzeugt, im Gegenteil. Das Kernprojekt, die Senkung der Unternehmenssteuern, hängt weiter in der Luft, weil man sich mit der Union über die Gegenfinanzierung nicht einigen kann. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte im Vorstand, CDU und CSU müssten eben selbst Vorschläge machen, wenn sie zur Schließung von Steuerschlupflöchern nicht bereit seien. Wie angesichts dieses Umstands "größere Dynamik im Handeln" (Müntefering) hergestellt werden soll, ist offen. Die Diskussion um eine Große Koalition im Bund nannte Müntefering "Träumerei". Er sei skeptisch gegenüber einem solchen Bündnis, das allerdings in Schleswig-Holstein nunmehr angestrebt wird. Der Landesvorsitzende Möller betonte aber, es werde mit der CDU "keine Koalition um jeden Preis" geben. Müntefering reagierte schließlich auf die schwierige Gesamtsituation und gab eine Parole aus, die dem gleichnamigen Arbeiterlied aus dem Revolutionsjahr 1848 entstammt: "Trotz alledem". Passend zur aktuellen Lage der SPD heißt es da: "Das war 'ne heiße Märzenzeit, trotz Regen, Schnee und alledem. Nun aber, da es Blüten schneit, nun ist es kalt, trotz alledem!"

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