Zoff um die Belebung

BERLIN. Die führenden Wirtschaftsinstitute dämpfen die Hoffnung auf ein kräftiges Wachstum im nächsten Jahr in Deutschland - und präsentieren sich zerstritten.

Neben der harschen Kritik an der rot-grünen Finanzpolitik, der es an einem "schlüssigen Konzept" fehle, beinhaltete die Vorstellung des Gutachtens der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gestern in Berlin auch unerwartet positive Munition für die Bundesregierung. Das lag nicht am wiederholten Lob der Fachleute für die Arbeitsmarkt- und Sozialreformen, sondern an der Uneinigkeit der Experten.Lange Konsumflaute in Deutschland

Minderheitsvoten sind nicht neu, wenn die Institute im Frühjahr und im Herbst ihre Analysen vorlegen. Diesmal wurde aber besonders deutlich, dass die Runde untereinander in weitaus mehr Fragen als sonst zerstritten war - redete gestern der eine, schüttelte oft ein anderer mit dem Kopf. Ob beim Thema Sparpaket, Wachstum oder Arbeitsmarkt- und Lohnpolitik. Fünf Institute glauben, dass nach einem Wachstum von 1,8 Prozent in diesem Jahr der Aufschwung 2005 mit 1,5 Prozent einen ordentlichen Dämpfer erhalten wird. Schuld sei insbesondere die "ungewöhnlich lange" Konsumflaute in Deutschland. Das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) meint hingegen, dass angesichts einer "außerordentlich günstigen" außenwirtschaftlichen Lage die deutsche Wirtschaft sich voraussichtlich "konjunkturell nachhaltig belebt". Es geht von einem Wachstum von zwei Prozent aus. Das deckt sich weitgehend mit der Vorhersage der Bundesregierung, die ihre Herbstprognose kommenden Montag vorlegen wird. Wie bewertet man aber solch ein gespaltenes Votum? Es liegt auf der Hand, dass sich die Politik gestern genüsslich jeweils ihre Rosinen herauspickte: SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler machte daher gute Noten für die rot-grüne Wirtschaftspolitik aus: "Die Konjunktur zieht ebenfalls an." Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sah am Horizont "eine fortgesetzte konjunkturelle Erholung". Anders als der parlamentarischen Geschäftsführer der Union, Volker Kauder (CDU): Das Gutachten bestätige nur, dass wie schon 2004 auch der Haushalt 2005 auf völlig falschen Daten beruhe. Die Union rechnet deshalb für nächstes Jahr fest mit einem weiteren Nachtragshaushalt. Am Donnerstag berät der Bundestag den Nachtrag für dieses Jahr mit einem satten Kreditvolumen von 43 Milliarden Euro. Am Arbeitsmarkt wird es keine "rasche und durchgreifende Besserung" geben. Darin bestand unter den Experten Einigkeit. Die Arbeitsmarktpolitik trage wenig dazu bei, "die Erosion" bei den sozialversicherungspflichtigen Jobs zu stoppen. Stattdessen würden über Ich-AGs oder Mini-Jobs "Sondersubventionen" geschaffen, "die die reguläre Beschäftigung verdrängen", kritisierten die Institute. Sie plädierten deshalb für eine Begrenzung. In der Frage, wie man mit dem Haushaltsdefizit von Bund, Länder und Gemeinden umgehen soll, zeigten sich die Forscher jedoch abermals zerstritten. In diesem Jahr prognostizieren die Experten eine Defizitquote von 3,8 Prozent, in 2005 sollen es 3,5 Prozent sein. Finanzminister Hans Eichel (SPD) wird also zum vierten Mal in Folge in Brüssel den Bruch des Stabilitätspaktes melden müssen.

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