Dorfentwicklung Bei ihr in Merzkirchen haben Gott und die Welt übernachtet

Merzkirchen · Mary Hemmerling hat ihre Pilgerherberge in Merzkirchen nach fast elf Jahren geschlossen. Doch das Thema Pilgern lässt die 63-Jährige nicht los.

 Einmal dieses Regal reinigen statt schnorren: Dieses Tauschgeschäft hat Mary Hemmerling den Umsonst-Pilgern vorgeschlagen.

Einmal dieses Regal reinigen statt schnorren: Dieses Tauschgeschäft hat Mary Hemmerling den Umsonst-Pilgern vorgeschlagen.

Foto: Marion Maier

Noch steht „Herberge“ auf dem roten Haus der Hemmerlings in Merzkirchen. Doch die Unterkunft für Santiago-de-Compostela-Pilger im Dachgeschoss existiert nicht mehr. Fast elf Jahre lang hat Mary Hemmerling für sie an die 25 einfache Übernachtungsplätze bereitgehalten. Damit ist nun Schluss.

Gründe für die Schließung Sie sagt: „Der Schriftzug am Haus ist eine schöne Erinnerung, deswegen bleibt er.“ Bereits ab Mai vergangenen Jahres habe sie keine neuen Pilger mehr aufgenommen, sondern nur noch die Zusagen erfüllt, die sie vorab gegeben habe. Seit Anfang dieses Jahres hat sie dann alles abgesagt. Sie will das Dachgeschoss, in dem meist zwei bis vier Pilger und nur in Ausnahmefällen große Gruppen untergebracht waren, zu zwei Wohnungen umbauen. Dabei mangelt es nicht an Nachfrage vonseiten der Reisenden. Vier bis fünf Anfragen erreichten sie immer noch täglich, weil ihr Haus weiter in Pilgerbüchern und im Internet gelistet sei, sagt Hemmerling.

Etwas anderes war ausschlaggebend für ihren Schlussstrich. Heute kann die lebenslustige Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht, nur noch den Kopf darüber schütteln. Doch im vergangenen Jahr hat es sie schier „um den Verstand gebracht“. Als sie 63 Jahre alt wurde, rasselte sie in eine Krise. Ihre Mutter war mit 63 Jahren gestorben, eine Cousine ebenso. Hemmerling war auf einmal davon überzeugt, dass auch sie dieses Schicksal ereilen würde. Sie sagt: „Ständig dachte ich, ich hätte eine andere Krankheit. Wenn man so was im Kopf hat, bekommt man es nicht mehr raus. Dabei habe ich bis dahin immer alles positiv gesehen.“ Als sich der schwarze Hautkrebs, den sie zu haben glaubte, schließlich als kleine Verbrennung entpuppte, war plötzlich Schluss mit dieser Phase.

Pilgertypen Die Herberge hatte sie da schon aufgegeben, und das bereut sie nicht. Hemmerling: „Ich habe das gerne gemacht und habe gut verdient, auch wenn ich damit nicht reich werden konnte. Jedoch war es zeitintensiv, ich habe viel gearbeitet.“ In der Regel hat sie für die Pilger Abendessen und Frühstück zubereitet. Abends hat sie oft bei den Besuchern gesessen und mit ihnen geredet. Da habe sie alles Mögliche an Menschen kennengelernt, erzählt Hemmerling. „Da waren ganz normale Leute dabei und welche mit Schuss. Vom Alter waren sie zwischen 18 und 86 Jahren alt. Vom Berber bis zum Prof war alles darunter.“ Auch ein Unternehmer, der mit einer kleinen Eselskarre nach Santiago gefahren sei, habe dazugehört. Viele Pilger hätten kein religiöses Motiv gehabt, oft sei es eher um das Laufen an sich gegangen, meint die Herbergsbetreiberin. Viele seien nur übers Wochenende von Trier über Merzkirchen nach Perl gewandert. Einige von ihnen hätten dann auch gerne mal den Schnaps und die Liköre probiert, die sie in ihrer vom Vater übernommenen Brennerei herstelle, sagt die 63-Jährige. Andere Pilger seien den Weg abschnittweise in mehreren Jahren hintereinander abgelaufen. Diejenigen, die bis zum spanischen Santiago de Compostela durchmarschieren wollten, seien in der Regel abends um acht Uhr ins Bett gegangen. Sie starten laut Hemmerling meist im Frühjahr, denn sie brauchen drei Monate für die ganze Strecke, und im Sommer ist es in Spanien zu heiß zum Wandern.

Besondere Gruppen Laut Hemmerling gab es auch „Schnorrer“ unter den Pilgern. Sie wollten gerne umsonst übernachten. Für den Fall, dass sie das mitmachen würde, wurde die Merzkircherin gewarnt. Das würde sich übers Internet herumsprechen und weitere solche Gesellen anlocken, hieß es. Also befolgte sie einen  Rat und verlangte als Gegenleistung von den Umsonst-Pilgern, dass sie ihr Regal mit den Spirituosen reinigten.

Die Folge: Die Schnorrer ließen sich nicht mehr blicken. Noch eine Gruppe hat Mary Hemmerling identifiziert. „Viele mussten sich ein Problem ablaufen. Gerade Männer und Frauen zwischen 40 und 50 Jahren, die allein unterwegs waren, hatten meist einen Schicksalsschlag hinter sich. Da war die Ehe gescheitert oder der Job weg.“ Sie seien oft froh gewesen, dass ihnen jemand zugehört habe.

Das hat sich auch in den drei Gästebüchern niedergeschlagen, in denen Mary Hemmerling Widmungen und Danksagungen sowie Karten, Briefe und Fotos gesammelt hat. Einige haben sich nach ihrer Tour noch mal bei der Herbergsmutter gemeldet. Hemmerling: „Viele meinten, dass es ihnen nach der Pilgertour besser geht und dass die Probleme kleiner geworden sind.“

Ausblick Selbst ist Mary Hemmerling, die mit ihrem Mann 15 Jahre lang den Bauernhof ihrer Eltern weitergeführt hat, nie gepilgert. „Ich bin nicht so die große Wandererin vor dem Herrn“, sagt sie. Santiago de Compostela hat sie dennoch kennengelernt. Zum einen hat sie alle Filme übers Pilgern gesehen, wie sie sagt. Zum andern war sie vor Jahren mit einer Gruppe von Bekannten tatsächlich dort. Noch heute schwärmt sie von dem riesigen Rauchfass, das angetrieben von mehreren Patres durch das Querschiff schwingt.

 Der Schriftzug soll bleiben: Die ehemalige Pilgerherberge in Merzkirchen.

Der Schriftzug soll bleiben: Die ehemalige Pilgerherberge in Merzkirchen.

Foto: Marion Maier

„Ein Riesenviech! Beeindruckend!“ Bei diesem einen Besuch soll es nicht bleiben. Nun, wo ihr Mann in Rente ist, möchte Mary Hemmerling den Pilgerweg nach Santiago de Compostela komplett erkunden. „Ich kenne ja schon jedes Schlagloch aus Erzählungen“, sagt sie. Dabei wird jedoch einiges anders sein als beim richtigen Pilgern. Die Hemmerlings wollen mit dem Auto fahren. Und sie werden auch nicht in spartanischen Herbergen übernachten, die einstige Herbergsmutter zieht Hotels vor.

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