"Es war wie auf einer Treibjagd"

Mauel · Thomas Barthel aus Mauel (Verbandsgemeinde Arzfeld) hat die Schreckensnacht von Paris miterlebt: Im TV erzählt er von der gefährlichen Odyssee, die er und eine Gruppe von Freunden nach den Anschlägen durch die gesamte Pariser Innenstadt unternahmen.

 Da war noch alles in Ordnung: Thomas Barthel am Freitagabend im Stade de France. Foto: privat

Da war noch alles in Ordnung: Thomas Barthel am Freitagabend im Stade de France. Foto: privat

Mauel. Was für ein Schrecken: "Wir haben uns gefühlt wie auf einer Treibjagd", sagt Thomas Barthel zum TV. "Wir hatten alle Angst, dass hinter der nächsten Ecke einer mit einem Maschinengewehr kommt und auf uns schießt."
Seit Montagmorgen ist der 24-Jährige, der in Trier Jura studiert, wieder zu Hause im Eifelort Mauel in der Verbandsgemeinde Arzfeld. Er hatte seine Freundin Valerie Wagner aus Mettendorf besucht, die in der französischen Hauptstadt ebenfalls Jura studiert. Gemeinsam mit vier Bekannten hatten sich die beiden am Freitag dazu entschlossen, das Länderspiel im Stade de France zu besuchen. Das Spiel war knapp 20 Minuten alt, als die erste Explosion das Stadion erschütterte. Bald darauf folgte die zweite, deutlich stärkere. "Alle haben sich gefragt: Was war das jetzt?", sagt Thomas Barthel, "aber es hätte niemand gedacht, dass sich da Leute vor dem Stadion in die Luft gesprengt haben."
Barthel schildert, wie sich erst sehr spät unter den Besuchern die Erkenntnis durchgesetzt habe, dass tatsächlich etwas Schreckliches geschehen sein musste. Wie die ersten Anrufe von zu Hause kamen. Und irgendwann habe das Wort vom "Terreur" die Runde gemacht: "Da war klar: Hier ist etwas passiert."
Nicht klar aber war, wie es nun weitergehen würde. Barthel erzählt, wie alle zuerst die Tribüne verlassen hätten, wie draußen noch alles recht ruhig gewesen sei - und die Sicherheitskräfte die Anweisung erteilt hätten, nicht den Südausgang zu benutzen, wegen eines "Unfalls". "Wir wussten wirklich nichts. Und dann ging's los."Über einen Zaun ins Freie


Plötzlich sei Panik in der Menge ausgebrochen, eine Menschenmasse auf sie zugestürmt. "In dem Moment ging der Schalter. Wir sind alle nur noch gerannt und haben uns verloren." Im letzten Moment habe er seine Freundin noch am Schlafittchen packen können - und aus dem Augenwinkel einen Treppenabgang gesehen. "Da sind wir dann runter." Die beiden gelangten in den Außenbereich, entdeckten eine ihrer Freundinnen wieder - und standen vor einem hohen Zaun, der das Areal von einer stark befahrenen Straße trennte. "Da hab' ich die beiden Mädels drübergehoben und wir sind über die Straße, bei vollem Verkehr."
Die drei wollten sich zunächst verstecken, im Garten vor einem der nahen Gebäude: "Aber dann haben wir gesehen, dass in dem Haus auch Leute mit Maschinengewehren waren. Und wir konnten nicht sehen, ob das Polizisten waren. Wir sind weitergerannt, so schnell es ging. "
Ihr Ziel: das Studentenwohnheim am südlichen Ende der Stadt. Sehr weit weg. Aber öffentliche Verkehrsmittel seien für ihn nicht infrage gekommen, viel zu gefährlich, da wäre er lieber zu Fuß gelaufen, auch wenn die Strecke "so weit wie von Mauel nach Bitburg" war. Der Versuch, ein Taxi zu nehmen, scheiterte. Niemand habe sie mitnehmen wollen, obwohl die Wagen, die sie stoppten, nicht voll besetzt gewesen seien. Überall trafen sie Menschen in größter Angst: "C'est la guerre", das ist der Krieg, habe es immer wieder geheißen. Und genau eine solche Stimmung, sagt Thomas Barthel, habe tatsächlich geherrscht. "Die ganze Stadt war ein Blaulicht. Überall Hubschrauber, Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen." Und immer der Gedanke: Da laufen gerade Schießereien in der Stadt.
Irgendwann hatten sie Glück: In ihrer Not sprachen sie ein junges Ehepaar an, das in einem kleinen Renault an einer roten Ampel stand. Die Franzosen erklärten sich bereit, die Flüchtenden zum Wohnheim zu fahren: "Da habe ich zum ersten Mal gedacht: Jetzt haben wir's doch vielleicht geschafft", sagt Thomas Barthel.
Der Mann nahm einen weiten Umweg, irgendwann nach Mitternacht waren sie am Ziel. Auch die anderen aus der Gruppe seien dann bald am Wohnheim eingetroffen, sie hatten die Bahn genommen.Bloß nicht mit dem Zug zurück


Am nächsten, gespenstischen Tag habe es nur noch einen Gedanken gegeben: "Wir müssen zurück in die Eifel. Die Frage ist, wie." Barthel ließ seine Bahnfahrkarte verfallen, in einen Zug wollte er sich nicht mehr setzen - zumal am Samstag auch noch die schreckliche Nachricht vom TGV-Unglück im Elsass bekannt wurde. Mietwagen waren nicht zu kriegen oder viel zu teuer.
"Dann habe ich meinen Bruder Matthias angerufen und ihn gefragt: Kannst du uns holen kommen?" Sie verabredeten sich in einem Vorort von Paris. "Er kam am Sonntagabend. Und ich habe zu ihm gesagt: Ich habe schon oft auf dich warten müssen. Aber ich hab' mich noch nie so gefreut, dich zu sehen."
Um zwei Uhr in der Nacht auf Montag waren die drei wieder in der Eifel. Und trotz der Angst kamen Barthel und seine Freundin zu dem Entschluss: Sie wird weiterstudieren, er bringt sie bald wieder nach Paris zurück.
"Man muss weitermachen", sagt Thomas Barthel. "Wir lassen uns davon nicht unterkriegen. Denn sonst hätten die gewonnen."

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