MUSIK Unterschiede? Na und?

BITBURG · Lebendig und  lebensfroh: Zurzeit probt ein bunter Haufen Menschen im Haus der Jugend für das Musical „Be a king“. Warum das Projekt zugleich besonders und nicht besonders ist? Mehr dazu  hier.

 Freuen sich auf die Probenarbeit und die vier Aufführungen: die Akteure, Tänzer und Musiker des Musicals „Be a king“, die an der ersten gemeinsamen Probe teilgenommen haben.

Freuen sich auf die Probenarbeit und die vier Aufführungen: die Akteure, Tänzer und Musiker des Musicals „Be a king“, die an der ersten gemeinsamen Probe teilgenommen haben.

Foto: tv/Ulrike Löhnertz

„Freiheit leben, einfach schweben“: Leonard (14) steht ein wenig gebückt und haucht leise die Worte ins Mikro.  Bandleader Dirk Klinikhammer hebt die Hand. „Stop mal!“ Patrick und Daniel legen ihre Schlagzeugsticks beiseite, Andreas zieht die Hände vom Keyboard weg. Die Bandkollegen tun es ihnen gleich. Klinkhammer wendet sich Leonard zu, spricht leise mit ihm. „Stell dir vor, du schwebst überall drüber, du bist groß.“ Er hebt seinen rechten Arm ganz hoch über Leonards Kopf. Die Hand senkt sich hinter Leonards Rücken. „Und hinten hast du Flügel.“ Leonard nickt. Dirk Klinkhammer dreht sich zur Band, hebt die Hand: „Nochmal von vorne.“

„Freiheit leben, einfach schweben“: Leonards Stimme klingt lauter als beim ersten Mal, bestimmter.  Er steht aufrecht. Und am Ende des Stückes gibt es Lob vom Bandleader: „Gut gemacht, schon viel besser.“

Leonard strahlt.  Schließlich muss die Rolle des Adlers, die er in „Be a King“, dem neuen Musical der integrativen Musik-AG des Hauses der Jugend  (HdJ) Bitburg übernommen hat, in vier Wochen sitzen. Dann ist Premiere des zweiten Musicals, das die AG – nach „Der Tomatenmaler“ im Jahr 2015 – zeigt. 120 Menschen sind dabei – von der Sechsjährigen bis zum Sechzigjährigen,  vom Laien bis zum Profi, vom Schüler bis zum Rentner. So bunt gemischt ist die Schar der Chorsänger, Musiker, Tänzer, Sänger und Bühnenarbeiter, dass in den Hintergrund gerät, dass es sich bei dem Projekt um ein integratives Musical handelt, also eines für nicht behinderte und behinderte Menschen. Ganz gleich, wen man an diesem ersten gemeinsamen Probentag der verschiedenen Gruppen im Haus der Jugend auf diese Besonderheit anspricht, die Antwort ist immer dieselbe. „Das ist doch egal.“ Oder, wie Udo Gangolf, Konrektor der St.-Martin-Förderschule Bitburg, es ausdrückt: „Jeder hat hier seine Rolle, seine Fähigkeiten und Grenzen. Wir sortieren nicht nach behindert und nicht behindert.“

Das sieht auch Gerd Wanken, Ex-Chef im Haus der Jugend so. Er hat 2014 gemeinsam die integrative Musik-AG gegründet. Hintergrund war die Überlegung, das integrative Angebot des HdJ zu erweitern. Denn seit 1983 gibt es dort die  BAG, eine AG zur Integration Jugendlicher mit Behinderung; später wurde die  Sport-BAG gegründet. Wanken und Gangolf hatten auch angeregt, ein Musical zu machen. Mit Erfolg. „Der Tomatenmaler“, ebenfalls aus der Feder von Klinkhammer, war ein Publikumsrenner und ein „Gänsehauterlebnis“ (Gangolf) für alle 80 Beteiligten und die Zuschauer.

Aber, so  Wanken, das stehe nicht im Vordergrund. „Der eigentliche Wert sind die Erfahrungen, die alle hier gemacht haben, die Freundschaften, die entstanden sind, der Zusammenhalt, der bleibt.“ Das zeige allein die Tatsache, dass die Musical-Band aus dem „Tomatenmaler“ immer noch wöchentlich probt und schon einige Auftritte hatte.

Und dass etwa 90 Prozent aller damaligen Akteure wieder dabei sind. Aber auch viele Neulinge. So wie Jan (8), der zusammen mit Samuel (15) und Rainer (48) bei „Be a King“ die Gruppe der Schnecken bildet.

Die drei sitzen am Bühnenrand und proben unter sorgfältiger Beobachtung von Klinkhammer zusammen mit den drei Mädchen, die die Affen spielen,  ein Lied, das sie später bei der Bühnenprobe nochmal zeigen sollen. Rainer hält das Notenblatt, schubst Samuel und Jan an  und zeigt mit dem Finger auf die Stelle, die gesungen werden soll. Die Köpfe dicht beieinander geht’s los. Rainer grinst.

Denn das ist es, wie er später sagt, was ihm an der Arbeit im HdJ gefällt: „Der Zusammenhalt, die Herzlichkeit.“ Ob es etwas ändert, dass es sich um ein integratives Musical handelt? Rainer zuckt mit den Schultern. „Das ist doch egal.“

Das findet auch Regisseur Stephan Vanecek, der gerade auf dem Stuhl vor der Bühne Platz genommen hat. Er erinnert sich an seine Arbeit beim „Tomatenmaler“, als er zum ersten Mal behinderte und nicht behinderte Akteure zusammen betreuen sollte. „Ich habe mich gefragt, wie ich beeinträchtigten Menschen meine Vorstellungen vermitteln kann“, sagt er. „Aber als ich zum ersten Mal hierherkam, hat es nur fünf Minuten gedauert, und alle Bedenken waren wie weggeblasen.“ Denn: „Bitburg ist so familiär. Da spürt man direkt, dass alle zusammengehören.“ Wie er mit behinderten Menschen arbeite? „Nicht anders als mit anderen auch.“ Jeder habe seine Grenzen,  und jeder müsse da  herangeführt werden. Zum Beispiel hätten nicht behinderte Menschen oft weniger Zugang zu ihren Emotionen, überlegten zu lange, statt in sich hineinzuspüren.

Apropos in sich hineinspüren: Das sollten Band, Schauspieler und Tänzer  gerade bei der  ersten gemeinsamen Bühnenprobe. Denn heute sollen alle Gruppen - bis auf den Chor, der später dazukommt - schauen, wie sie zueinander passen, damit alles sich zu einem Ganzen formt. Zu diesem Zeitpunkt ein schwieriges Unterfangen. Das zeigt sich beim Song der Affen, den Patrick (25)  und seine Bandkollegen begleiten. Die acht Darstellerinnen sitzen am Rand der Bühne und sollen zur Musik klatschen, Pause machen, sich an die Nase fassen, dann wieder klatschen ... Es klappt nicht direkt. Stephan Vanecek bleibt ruhig. „Wir gehen das später nochmal durch.“

Jetzt sind erst mal die Schnecken dran. Dann watscheln die Pinguine, drehen sich mit angewinkelten Armen um die eigene Achse. Irina Krause macht die Choreographie vor der Bühne mit. Die Hip-Hip-Lehrerin leitet drei Tanzgruppen beim Musical und findet die Arbeit „total schön“. Ob es eine Rolle spielt, dass behinderte und nicht behinderte Menschen dabei sind? „Nein“, sagt sie. Man müsse immer schauen, was möglich sei, aber das hänge nicht von sogenannten Behinderungen ab. Findet auch Bandmitglied Patrick, der sich sowieso eher Gedanken darüber macht, wie er seine Aufregung am Premierentag in den Griff kriegt. Ansonsten macht ihm alles „einen Riesenspaß“. Denn Musik sei sein Leben - sowohl das Machen als auch das Hören, sagt er.

Das gilt sicher für viele der Beteiligten, die gerade geräuschvoll ihre Sachen packen. Die Probe ist vorbei – übrigens mit einem „geilen“ (Klinkhammer) Auftritt von Leonard und der Band beim Titel „Freiheit“.  Diana Heine, die die integrative Arbeit am HdJ leitet und das Musicalprojekt mitbetreut, schiebt gemeinsam mit Thorsten Hauer, dem Leiter des HdJ, die Stühle zusammen. Beide unterstützen alle, die beim Musical mitmachen - ob behindert oder nicht behindert.

„Man muss jeden da abholen, wo er steht. Behindert oder nicht behindert, das ist doch egal“, sagt Heine. Hauer betont: „Jeder ist wichtig, Perfektion ist nicht der Anspruch.“ Oder, wie Klinkhammer es ausdrückt: „Jeder hat eine Stelle, die nur er oder sie ausfüllt. Wichtig ist: Wir machen zusammen Musik.“

 Musical Be a king

Musical Be a king

Foto: tv/Ulrike Löhnertz
 Foto links: Regisseur Stephan Vanecek gibt den Akteuren Instruktionen. Foto rechts: Dirk Klinkhammer, Schöpfer von „Be a king“ (Zweiter von links), probt mit der Band und dem Solisten Leonard (links).

Foto links: Regisseur Stephan Vanecek gibt den Akteuren Instruktionen. Foto rechts: Dirk Klinkhammer, Schöpfer von „Be a king“ (Zweiter von links), probt mit der Band und dem Solisten Leonard (links).

Foto: tv/Ulrike Löhnertz
 Musical Be a king

Musical Be a king

Foto: tv/Ulrike Löhnertz
 Musical Be a king

Musical Be a king

Foto: tv/Ulrike Löhnertz
 Foto links: Die Band berät über Änderungen in der Partitur. Foto rechts: Die Tanzcoaches Irina Krause und Svenja Hoffmann „wackeln mit“ beim Tanz der Pinguine.

Foto links: Die Band berät über Änderungen in der Partitur. Foto rechts: Die Tanzcoaches Irina Krause und Svenja Hoffmann „wackeln mit“ beim Tanz der Pinguine.

Foto: tv/Ulrike Löhnertz
MUSIK: Unterschiede? Na und?
Foto: TV/Ulrike Löhnertz

Und wer ist hier eigentlich behindert? Der Autist mit dem absoluten Gehör, der keinen Lärm ertragen kann, der Gymnasiast, der toll singen, aber sich nur schwer Texte merken kann, der Junge mit dem Down-Syndrom, der Bewegungsprobleme hat, aber bei allen Proben aufmerksam bei der Sache ist? Und schon ist man wieder bei dem Satz, den man im HdJ so oft hört: „Das ist doch egal.“

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