Mit Haut und Haaren dabei: Publikumsliebling "Hair" vor ausverkauftem Haus

Trier · Ein altes Schlachtross setzt sich mit weitem Abstand an die Spitze der Theaterstatistik dieser Saison: Das Musical "Hair" ist der absolute Publikumsliebling, die Vorstellungen waren ratzfatz ausverkauft. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass nicht nur die Besucher ihren Spaß haben.

Trier. Freitagabend, 19 Uhr. Noch eine Stunde bis Vorstellungsbeginn. Im Foyer trudelt eine Gruppe von Damen mittleren Alters ein, ein Tisch ist mit Sektgarnituren eingedeckt. Sieht nach einem runden Geburtstag aus. Könnte passen: "Hair" spielt 1968, wer damals 14 war, dürfte dieser Tage seinen Sechzigsten feiern.
Die Laune ist prächtig, nicht nur bei den Damen. Alles strahlt, vor und hinter der Bühne - bei der Oper "The Fly" sah das auch schon anders aus. Das Flower-Power-Musical macht offenbar "good vibes", auch ohne die später auf der Bühne in allen Varianten genossenen pflanzlichen oder chemischen Stimmungsaufheller.

Der Hauptdarsteller:
Schwerstarbeit in der Maske. Matthias Stockinger hat noch fünf Minuten Zeit, bevor er hier in die Hauptfigur Berger verwandelt wird. Gelegenheit für eine kleine Bilanz seiner Trierer Zeit, die mit "Hair" langsam zu Ende geht. Zwei Spielzeiten war er hier, eigentlich ein Musical-Spezialist, der aber im Ensemble auch als "seriöser" Schauspieler überzeugte. Eine "wahnsinnige Bereicherung" sei die Trierer Zeit gewesen, eine "tolle Erfahrung" das Sprechtheater, sagt er - und es klingt ehrlich.
Aber jetzt macht sich der 31-jährige Saarländer schon wieder auf zu neuen Ufern: Er wird in Utrecht und Saarbrücken klassischen Gesang studieren - spätere Opernkarriere nicht ausgeschlossen. Weil man vom Studieren nicht leben kann, wird er "nebenher" gastieren und unterrichten - kein Problem angesichts seiner vielfältigen Begabungen. Für den Turboerfolg von "Hair" hat Stockinger eine Erklärung: Die dort beschriebene Zeit sei "einfach Kult".
Die Hoffnungsvollen:
Die jungen Nachwuchskünstler, die Gerhard Weber für den "Tribe", eine Art Aktions-Chor, gecastet hat, sind altersmäßig noch weiter von den Alt-68ern entfernt als Stockinger. Meist Schüler oder Studenten, haben es zwölf Glückliche geschafft, sich gegen 100 Mitbewerber durchzusetzen und eine Rolle auf der Bühne zu ergattern. Sie sind weit mehr als Statisten, singen, tanzen, spielen gemeinsam mit den Profis. Seit Oktober lief die musikalische Einstudierung, seit Jahresbeginn waren sechs umfangreiche Proben pro Woche angesetzt.
Ein Traum ist für sie in Erfüllung gegangen, wie bei Barbara, die erste Erfahrungen in der Trie rer Musical School und im Schultheater gesammelt hat. Oder wie bei Max, der - wie fast alle hier - am liebsten professionell beim Theater einsteigen würde. Oder wie bei Maria, die das riesige Pensum neben ihrem ganz normalen Job in Luxemburg absolviert.
Von ihren Profi-Kollegen fühlen sie sich "auf Augenhöhe" angenommen, auch wenn manches zunächst ungewohnt war. Dass man sich anfasst auf der Bühne, beispielsweise. Orgien und Drogenräusche wollen erstmal gespielt werden, wenn man das nicht gelernt hat. Aber inzwischen fühle man sich "wie eine kleine Familie", sagt Maria. Und Lampenfieber, so befindet Lisa, gebe es "überraschend wenig".
Wie ist es möglich, dass die Neulinge so cool agieren? Michael hat da eine Idee: Die "Hair"-Musik verbreite "eine Art Gelassenheit". Vielleicht ist das ja auch der Grund für den Publikums-Erfolg.
Die Musik-Chefin:
Die Zuständige für die "Hair"-Musik heißt in Trier Angela Händel. Die Chefin sitzt an zwei Keyboards im Bühnenhintergrund, unsichtbar fürs Publikum, umgeben von einer kleinen, aber feinen Band aus flexiblen Orchestermusikern. Vorne laufen die Soundchecks, Rockröhre Conny Hain testet gerade die Grenzen der Verstärker-Anlage, Gitarrenguru Christoph Haupers, als Gast dabei, stimmt noch einmal die E-Klampfe.
Niemand aus der Band wird die Chance haben, das Stück so zu sehen wie die Zuschauer, die gleich den großen Saal füllen. "Wenigstens bei den Proben habe ich etwas mitbekommen", sagt Angela Händel. Hauptberuflich leitet sie den Trierer Theaterchor, aber so eine "Sonderaufgabe" als Arrangeurin und musikalische Leiterin hat schon ihren Reiz. Zumal für jemanden, der Musical, Jazz und Rock genau so liebt wie Mozart. Oder Stockhausen. Oder Händel.
Und die Musikerin hat vielleicht auch die plausibelste, wenn auch leicht philosophische Antwort auf die Frage, warum viel mehr Menschen in das Hippie-Musical strömen als es hierzulande je Hippies gab. Die wollen, sagt Angela Händel, "die Jugend nochmal erleben, die sie hätten haben können".
Sieben ausverkaufte "Hair"-Vorstellungen sind vorbei, zehn weitere folgen. Das Theater hat für den 29. Mai und den 8. Juni zwei Zusatzaufführungen angesetzt, für die es noch Karten gibt. Theaterkasse: 0651/7181818. Online: www.theater-trier.deExtra

Zu einem Geheimtipp haben sich die "Face to Face"-Galaabende mit Matthias Stockinger (Foto) entwickelt. Am Samstag, 29. März, 19.30 Uhr, bietet sich zum vorläufig letzten Mal die Gelegenheit zur Begegnung mit dem Künstler und seinen Gästen. Unter anderem dabei: Die Sängerin Roberta Valentini, der Geiger Vasile Darnea, Barbara Ullmann, Laszlo Lukacs, die Tänzer René Klötzer und Susanne Wessel sowie Angela Händel mit Liveband. DiL

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