Ombudsmann und letzte Instanz

Prominentester Gast bei den ersten Saar-Hunsrück-Literaturtagen auf der Grimburg (VG Hermeskeil) ist der Autor Günter Wallraff. Im TV-Interview verrät Deutschlands bekanntester Enthüllungs-journalist unter anderem, warum er gerade bei diesem neuen Kulturfestival dabei sein will.

Köln/Grimburg. Es dauerte einige Tage, ihn ans Telefon zu bekommen, aber dann stand Günter Wallraff TV-Redakteur Dieter Lintz Rede und Antwort. Herr Wallraff, wie muss ich mir Sie gerade vorstellen, während wir telefonieren? Locker zu Hause in Köln , am Schreibtisch im Autorenbüro oder in einer wilden Verkleidung irgendwo bei einer neuen Mission, wo Sie sich fünf Minuten rausgeschlichen haben? Günter Wallraff: Ich bin bei mir zu Hause, aber Arbeit und Privatleben kann ich kaum trennen. Bei mir häufen sich selbst in der Küche die Papiere bis auf die Herdplatten. Hier stehen Menschen unangemeldet vor der Tür und schildern mir die Ungerechtigkeiten, die ihnen im Arbeitsleben begegnen ... Sind Sie so eine Art Ombudsmann? Wallraff: Notgedrungen. Das hat sich so ergeben, vielleicht, weil ich die Fähigkeit habe, mich in andere Menschen hineinversetzen zu können. Manche sehen mich auch als eine Art letzte Instanz. Es nimmt ständig zu, inzwischen umfasst das etwa die Hälfte meiner Tätigkeit. Ich habe ein Büro eröffnet, zwei Häuser weiter, mit zwei Mitarbeitern, die nichts anderes machen, als solchen Fällen nachzugehen. Die Beschwerden werden immer präziser, sind oft überzeugend dokumentiert. Das, was man so Querulanten nennt, ist die absolute Ausnahme. Was tun Sie dann? Wallraff: Das ist eine Gratwanderung. Oft gehe ich nicht den Weg der Veröffentlichung, stattdessen kontaktiere ich die Firmen und konfrontiere sie mit den Vorwürfen, damit sie das in Ordnung bringen können. Das gelingt ab und zu, sogar bei Konzernen. Sie sind inzwischen siebzig, greifen unermüdlich immer neue Themen auf - Sie könnten ja auch sagen: Genug geschafft, jetzt ist Zeit für Rente und Urlaub. Wallraff (lacht): Ich habe gerade zwei Urlaubsreisen verfallen lassen, weil es aktuell so viel zu tun gab. Aber ich habe es immerhin jetzt geschafft, an einen Besuch als Prozessbeobachter in der Türkei ein paar Tage Ferien dranzuhängen. Doch generell zu sagen, ich ziehe mich da raus, das geht nicht, dafür habe ich zu viele Aufgaben, bei denen ich gefordert werde. Und die ewige Ruhe dauert später noch lang genug. Sie sind heute mehr gefragt als je zuvor, ein Journalistenkollege hat neulich von der "Marke Wallraff" geschrieben. Wie nehmen Sie das selbst wahr? Wallraff: So empfinde ich das nicht. Meine Absicht war nie, eine Marke zu werden, aber wenn das andere so sehen, dann vielleicht deshalb, weil ich für bestimmte Dinge hart gekämpft habe. Was ich mir wünschen würde, wären Nachfolger. Bestimmte Rollen und Verkleidungen sind mir aus Altersgründen nicht mehr vergönnt ... ... und deshalb machen Sie jetzt eine Aufklärungssendung wie "Team Wallraff" bei RTL? Wallraff: Sicher gibt es bei Privatsendern auch Formate, bei denen es um Verblödung geht. Aber zum Glück sinken da die Quoten. Mir kommt es darauf an, sozialkritische Themen durchzusetzen und ein junges Publikum zu erreichen, das die Öffentlich-Rechtlichen gar nicht mehr sieht. Dann müssten Sie ja auch Alice Schwarzer verstehen, die Kolumnen in der von Ihnen einst heftig kritisierten Bild-Zeitung schreibt. Wallraff: Da muss man aufpassen, nicht vereinnahmt zu werden. Bei der sonst von mir sehr geschätzten Alice Schwarzer kann ich das schwer verstehen, weil sie immer eine Vorkämpferin für Frauenrechte war und die frauenverachtende Aufmachung der Bild früher heftig kritisiert hat. Als Sie mit der Undercover-Arbeit begonnen haben, gab es den Begriff "Whistleblower" noch nicht. Heute sind Menschen, die aus dem Inneren einer Institution an die Öffentlichkeit gehen, um Missstände aufzudecken, in aller Munde. Sind Leute wie Bradley Manning und Edward Snowden Ihre Brüder im Geiste? Wallraff: Teils, teils. Ich arbeite anders, weil ich ja immer nur auf Zeit irgendwo reingehe, um etwas aufzudecken. Der Bundesgerichtshofs hat meine Methode in einem Grundsatzurteil ausdrücklich für legal erklärt, wenn es um gravierende Missstände geht. Aber unabhängig davon glaube ich, dass Menschen wie Manning und Snowden die Freiheitshelden der kommenden Generation in den USA und weltweit sein werden, weil sie ihrem Gewissen gefolgt sind. Sie werden beim Literaturfestival auf der Grimburg dabei sein. Wie kommen Sie ausgerechnet auf diese ganz neue Veranstaltung? Sie können ja kaum überall zusagen wo Sie gefragt werden. Wallraff: Ich kann nur einen Bruchteil der Einladungen annehmen. Aber Tim Kohley, der mich auf die Grimburg eingeladen hat, machte einen sehr sympathischen und engagierten Eindruck. Mir gefiel die Art, wie er das anpackt, und da habe ich spontan zugesagt. Das Publikum kann bei Ihnen wahrscheinlich nicht mit einer ganz normalen Lesung rechnen? Wallraff: Sicher nicht. Ich lasse mich gern vom Publikum überraschen und versuche, mit den Menschen in einen Dialog zu treten. Ich hoffe, dass wir uns da gegenseitig inspirieren und ich meinerseits auch Neues erfahre. Und da freue ich mich drauf. DiLExtra

Vom 30. August bis zum 1. September finden auf der Grimburg die ersten Saar-Hunsrück-Literaturtage statt. Organisator Tim Kohley rechnet mit 500 bis 1000 Besuchern pro Tag. Die ambitionierte Kulturveranstaltung mit Gästen wie Andreas Altmann und Arno Strobel bietet an allen drei Tagen von 11 Uhr bis Mitternacht nonstop Literatur und Musik mit vielen Autoren der Region. Außerdem gibt es an allen drei Tagen ein Kinderprogramm. Details und genaue Zeiten: www.literatur-on-tour.infoDas Hauptprogramm: Freitag, 30. August: ab 18 Uhr Lesung mit Andreas Altmann (Reisebuchautor und Kisch-Preisträger); ab 20 Uhr Tenor Thomas Kiessling. Samstag, 31. August: ab 12 Uhr Lesung mit Arno Strobel, 17 Uhr Lesung Rolf Ersfeld, ab 18 Uhr Lesung mit Günter Wallraff, ab 20 Uhr Kabarett mit Robert Erzig. Sonntag, 1. September: ab 16 Uhr Musik mit Meike Garden, ab 18 Uhr Lesung mit Philipp Möller, ab 20 Uhr Musik mit der Daniel-Bukowski-Band.

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