Schwedin mit russischer Seele
Sie sieht fantastisch aus und fügt ihrem musikalischen Erfolg nun einen weiteren Baustein hinzu: Viktoria Tolstoy, die 34-jährige schwedische Jazz-Sängerin, kehrt mit ihrem neuen Album ,,My Russian Soul" zurück zu ihren russischen Wurzeln.
Die Urur-Großenkelin Leo Tolstois, des großen russischen Schriftstellers (1828 bis 1910), legt mit dieser CD bereits ihr viertes Konzept-Album vor.
Klassische russische Musik wurde zwar bereits von Jazz-Musikern aufgegriffen erwähnt sei hier nur etwa Duke Ellingtons Arrangement zu Tschaikowskys ,,Nussknacker-Suite". Aber bisher noch nicht von einer Sängerin beziehungsweise einem Sänger. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem schwedischen Star-Posaunisten Nils Landgren (bekannt vor allem durch die Alben mit seiner Formation ,,Funk Unit"), verwirklicht sie nun dieses Vorhaben. Die meisten Arrangements auf ,,My Russian Soul" (Gesamtspielzeit 51:45 Minuten) stammen vom Pianisten Jacob Karlzon. Für zwei Bearbeitungen zeichnet Saxofonist Joakim Milder verantwortlich. Eine äußerst wichtige Funktion hat jedoch die Newcomerin Anna Alerstedt aus Göteborg übernommen: Die junge schwedische Liedschreiberin hat bis auf zwei die Texte für das Album geschrieben.
Zum Arbeitsablauf äußert sich Viktoria Tolstoy wie folgt: ,,Ich habe ihr morgens die Musik geschickt, und am Nachmittag kam der fertige Text. Sie ist unglaublich schnell. Und das Ergebnis war immer perfekt." Im Vorfeld waren die Beteiligten jedoch etliche Monate allein mit der Auswahl der musikalischen Vorlagen beschäftigt. Dabei wird selbstverständlich Peter Iljitsch Tschaikowsky (1840 bis 1893) entsprechend viel Platz eingeräumt. Denn er ist ,,zeitlos modern, ganz ähnlich wie Tolstoi in der Literatur (Werke unter anderen ,,Krieg und Frieden", ,,Anna Karenina"; Anm. J.L.)", findet Viktoria.
Das Eröffnungsstück des Albums, die ruhige Ballade ,,Home", geht zurück auf den zweiten Satz der Symphonie Nr. 5. Das dramatische ,,Word By Word" (Titel 2), bei dem das Klavier im Vordergrund steht, basiert auf einem Thema der ,,Nussknacker-Suite. Der beinahe symphonische mit Streichern arrangierte Hymnus ,,The Curtain Falls" (Titel 3) geht zurück auf das ,,Arioso Nr. 1" der Oper ,,Iolanta".
Ein Glanzstück von Tolstoys neuer CD ,,My Russian Soul" ist die sentimentale ,,Silent Rhapsody" (Titel 8) nach dem ersten Satz der ,,Pathe´tique", seiner sechsten Sinfonie. Die eher bombastische Schlussnummer ,,Aftermath", zugleich düster und funkig, basiert auf dem Hauptthema des Balletts ,,Schwanensee".
Neben Tschaikowsky sind auch ein Werk von Sergej Rachmaninow (1873 - 1943), Titel 7: ,,You Can't Go Home Again" mit langsamen Bläsersätzen, sowie zwei Bearbeitungen russischer Volkslieder (Titel 4 und 11) auf ,,My Russian Soul" zu hören.
Ein Lied des Schauspielers, Dichters und Sängers Vladimir Vysotsky, des im Westen bis heute weitgehend ignorierten ,,russischen Bob Dylan", (,,Our Stories", Titel 5) ist ebenfalls auf Viktorias neuem Album zu finden.
Schließlich haben Tolstoy und Landgren noch im umfangreichen Fundus russischer Film-Musik gestöbert. Dabei stachen ihnen die Film-Komponisten Andrej Petrov und Victor Lebedev besonders ins Auge. Es ist nicht nur Viktorias ,,russische Seele", die sich mit dem ,,nordischen Klang" ihrer skandinavischen Heimat verbindet: Der Song ,,Although You're Gone" (Titel 9) nach Lebedevs ,,French Theme" aus dem Kinofilm ,,Go Ahead Marine Guards" vom Jahr 1987 fügt dem Werk mit Akkordeon-Begleitung und Musette-Musik noch zusätzlich mediterranes Flair hinzu. Kein Irrtum ist es, dass sich auf ,,My Russian Soul" auch der Broadway-Hit ,,Stranger in Paradise" (Titel 6) findet - ein Welterfolg aus dem Musical ,,Kismet" vom Jahr 1953. Das Lied lässt sich auf die ,,Polowetzer Tänze" aus Alexander Borodins 1889 uraufgeführter Oper ,,Fürst Igor" zurückführen
Mit ,,My Russian Soul" hat Viktoria Tolstoy mit ihrer strahlenden, ausdrucksstarken Stimme ein würdiges Nachfolge-Album für ,,Pictures Of Me" vorgelegt. Das Konzept der CD bietet vor allem klassischer russischer Musik ein passendes modernes Gewand, in das die schwedische Sängerin einen Teil ihrer Herkunft musikalisch raffiniert drapiert. Tolstoi gehört in eine Reihe mit ihren skandinavischen Kolleginnen Rigmor Gustafsson und Rebekka Bakken sowie Diana Krall oder auch Stacey Kent. Jörg Lehn
Viktoria Tolstoy: My Russian Soul, Act Music, Act 9721-2
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