Brexodus: Eine Bitburgerin sagt bye-bye

London/Bitburg · Viele Europäer, die in Großbritannien leben, sind verunsichert und verlassen das Land. Der geplante Brexit stellt ihr Leben auf den Kopf. Auch das einer gebürtigen Eifelerin.

 Marie-Louise und Geoff Read mit ihrem Hund zwischen blauen Hasenglöckchen, die für England so typisch sind. Foto: privat

Marie-Louise und Geoff Read mit ihrem Hund zwischen blauen Hasenglöckchen, die für England so typisch sind. Foto: privat

Foto: (g_pol3 )

Der Brexit wirft seine Schatten voraus. Und immer mehr EU-Ausländer verlassen die Insel. "Wir sehen für uns keine Zukunft in Großbritannien", sagt auch die aus Bitburg stammende Marie-Louise Read, geborene Rieder, die in mit ihrem britischen Ehemann und ihrem Hund in einem gemütlichen Cottage in Colchester (Essex) lebt.

Seit 32 Jahren ist sie mit dem anglikanischen Theologen Geoff Read verheiratet. Insgesamt 16 Jahre lang hat die Eifelerin mit ihm und den beiden Töchtern in England gelebt, als Lehrerin gearbeitet, Steuern gezahlt, dazu gehört. Dann kam das Referendum. Es war ein Schlag für die Familie. "Wir sind in Tränen ausgebrochen", sagt sie einem englischen Radioreporter, der sie kürzlich interviewte, weil sie zu den 3,2 Millionen EU-Bürgern in Großbritannien zählt, die nicht wissen, wie es weitergeht.

"Am Morgen nach dem Referendum fühlte sich unsere gesamte Familie unserer gemeinsamen europäischen Identität beraubt", schreibt sie in einer Mail an den TV. Ihr Mann vergleiche das Leben nach dem Referendum mit andauerndem Zahnschmerz. Obwohl sie bisher (anders als andere EU Bürger) keine direkten Feindseligkeiten erlebt habe, fühle sie sich wie nie zuvor als Ausländerin.

Wie viele deutsch-britische Familien stehen die Reads vor großen Fragen. Denn obwohl Marie-Louise so lange im Vereinigten Königreich gelebt hat, hat sie keine uneingeschränkte Aufenthaltsgenehmigung. Diese erlosch, als sie 1998 wegen einer neuen Arbeitsstelle mit ihrem Mann auf den Kontinent zurückkehrte. Erst seit 2014 wohnt die Familie wieder auf der Insel. Bisher war das dank der Freizügigkeit innerhalb der EU problemlos möglich. Doch der für Ende März 2019 geplante Brexit ändert alles.

"Meine Aussichten auf einen britischen Pass liegen in weiter Ferne", sagt die Lehrerin, die als neuer Migrant eingestuft wird. Um eingebürgert zu werden, braucht sie eine "Permanent Resident Card". Und für diese muss sie mindestens fünf Jahre in England gearbeitet haben. Sollte der Brexit wie geplant über die Bühne gehen, wäre sie Teil der vielen EU-Ausländer ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. "Das ist für uns sehr beunruhigend", sagt sie. "Wir überlegen uns eine Rückkehr nach Deutschland oder in ein anderes EU-Land." Ihr Mann bemühe sich nun um die deutsche Staatsbürgerschaft.

Wie den Reads geht es vielen. Immer mehr EU-Bürger - das belegen Zahlen der britischen Statistikbehörde ONS (Office for National Statistics) - verlassen Großbritannien. Die Netto-Einwanderung - die Differenz zwischen Einwanderung und Auswanderung - sank binnen eines Jahres bis Ende März bei allen Ausländern um 81 000 auf 246 000. Dies ist der niedrigste Wert seit drei Jahren. Insbesondere EU-Ausländer kehrten Großbritannien den Rücken. Bei ihnen fiel die Netto-Einwanderung um 51 000 auf 127 000 und damit so stark wie seit etwa zehn Jahren nicht mehr.

Die Zahlen deuten nach Angaben der ONS-Expertin Nicola White darauf hin, dass das Brexit-Referendum verantwortlich sein könnte. Die Rechte der EU-Bürger nach der Scheidung von der EU sind noch unklar.
Insbesondere Bürger aus den EU-8-Staaten kehren dem Königreich den Rücken. Dazu zählen die Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Litauen, Lettland, Polen, Slowenien und die Slowakei.

Bei der Abstimmung über den EU-Austritt im Juni 2016 spielte das Thema Einwanderung eine große Rolle. London will die ungehinderte Zuwanderung von EU-Ausländern beschränken. Ziel von Premierministerin Theresa May ist es, die Netto-Einwanderung auf unter 100 000 zu drücken.

Ein Sprecher des Wirtschaftsverbandes Institute of Directors sagte: "Niemand sollte diese Zahlen feiern."
Großbritannien büße schon jetzt als Arbeits- und Wohnort an Attraktivität ein. Viele Agrarbetriebe und Firmen in der Lebensmittelindustrie befürchten, ohne billige Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland nicht überlebensfähig zu sein. Auch das Hotelgewerbe sieht Probleme auf sich zukommen. Auf Kritik stießen die neuen Zahlen auch bei der oppositionellen Labour-Partei. Die Liberaldemokraten, die einen Verbleib Großbritanniens in der EU wollten, sprachen von einem "Brexodus der EU-Bürger". Ein Brexodus, an dem sich wohl auch die Reads beteiligen, die sich vor 36 Jahren in Bristol, England, kennenlernten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort