Großregion mit großen Aufgaben

BIERSDORF. Ein Mann, eine Vision ­ Jacques Santer, ehemaliger Präsident der EU-Kommission und Luxemburger Abgeordneter im Europäischen Parlament, rundete die 41. Bitburger Gespräche zum Thema "Globale Wirtschaft ­ nationales Recht" im Dorint-Hotel in Biersdorf ab.

Europa hat so seine Tücken. Im Kleinen wie im Großen. Im Kleinensind es die, dass nahe Geglaubtes manchmal doch weiter entferntliegt als man denkt. Im Großen sind es die, dass weit entferntscheinende Ziele oft leichter zu realisieren sind als man imvoraus dachte. Niemand weiß das besser als Jacques Santer, ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission und heute Abgeordneter für die Luxemburger Christdemokraten im Europäischen Parlament. Und so steht vor Santers politischer Schlussrede zu den 41. Bitburger Gesprächen die Fahrt zum Tagungsort Biersdorf.

Kooperation macht stark

Die Tücken der Großregion Saar-Lor-Lux lernt er kennen, als er zunächst mal nach Biesdorf ­ auch im Kreis Bitburg-Prüm, aber dennoch der falsche Ort ­ fährt. Kein Problem. Ein Anruf, ein Blick auf die Karte, und der Wagen findet den Weg fast von allein.

Die Herausforderungen, vor denen die Europäische Union derzeit steht, zu lösen ist allerdings schwieriger, als die richtige Route zu finden, nachdem man sich in der Eifel verfahren hat. Verfahren, so stellt Jacques Santer später klar, sei die Lage Europas natürlich nicht. Aber es gebe Dinge, für die endlich die Weichen gestellt werden müssten. An einer politischen Union zwischen Atlantik und Zypern hat er ohnehin keine Zweifel. Nicht nur, dass der Europa-Pionier Robert Schuman die Bildung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl bereits Anfang der 50er Jahre als "Grundstein einer europäischen Föderation", also eines Staatenbündnisses, bezeichnet hat. "Kein europäischer Staat hat heute den nötigen internationalen Einfluss, seine globalen Interessen umzusetzen", ergänzt der Luxemburger. Das könne niemand besser beurteilen als seine Landsleute.

Als Kleinstaat sei das Großherzogtum nur durch seine "traditionelle Öffnung zum Ausland" und durch seinen Kooperationswillen wirtschaftlich so groß geworden, dass man über seine flächenmäßige Winzigkeit hinwegsehen könne. "Die Erfahrungen des Kleinstaatendaseins lehrt, dass ein Land um so lebensfähiger ist, je besser es sich den Gegebenheiten anpassen kann und je flexibler es auf Änderungen reagiert", erklärt Santer. Und das habe Luxemburg als einziges Land in Europa, das ununterbrochen über 150 Jahre als Mitglied in multilateralen Verbindungen verankert ist, geschafft. Deutsche Zollunion, belgisch-luxemburgische Währungsunion seit 1921 und europäische Integration ­ Luxemburg scheint das Bindeglied der Kooperation auf unserem Kontinent zu sein.

Doch die meisten Staaten in der Europäischen Union, vor allem die, die irgendwann mal Großmacht waren, haben Angst, ihre Souveränitätsrechte an eine übergeordnete Instanz abzutreten. Diese Befürchtung wischt Santer weg mit dem Argument, dass Luxemburg erst durch die Abtretung seiner Rechte als Staat diese letztlich erst gesichert habe. "Denn die Globalisierung verändert die Gestaltungsmöglichkeit und Handlungsfähigkeit der Staaten", sagt er. Ob groß, ob klein, die Anforderungen an den Staat nähmen durch die wachsende Verflechtung ständig zu. Eine funktionierende EU sei deshalb grundlegend für das Gedeihen der Wirtschaft.

Europa steht heute an einem Scheideweg seiner Geschichte, ist sich der 65-Jährige sicher. Osterweiterung hin, EU-Reform her ­ was fehle, das sei eine Vision, wie die Union einmal aussehen könnte. Die Leitlinien dafür könne allerdings nur eine föderale europäische Verfassung bestimmen, die die Grundlagen einer funktionierenden EU als neuer "starker Pol in der Welt" formuliere. Dabei ermutigt der gewiefte Staatsmann die Bürger: "Vom Global Payer (weltweiter Zahlmeister) muss sich die Union nun endlich auch zum Global Player (weltweiten Mitspieler) entwickeln." Schließlich habe man auch eigene Interessen als Europäer, die es umzusetzen gelte.

Wiederentdeckung der Region

Globalisierung schön und gut. Doch worauf es Santer außerdem ankommt, das ist angesichts von Globalisierung und Großmachtsdenken die zunehmende grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Regionen in Europa. "Ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Verfassung", so bewertet er die Rolle der kleinsten Ebene. Für den gebürtigen Wasserbilliger ist die Wiederentdeckung der Region deshalb ein "Lösungsanfang". Denn Santer, der auch Chef der gleichnamigen Kommission zur Entwicklung einer Vision 2020 für die Großregion Saar-Lor-Lux ist, weiß: "Die Großregion ist das Kerngebiet europäischer Zivilisation. In diesen Gebieten hat der Wille zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und zum grenzüberschreitenden Zusammenleben seinen Ursprung." Und dieser Wille im Kleinen sei das, was Globalisierung und das Wirtschaften im Großen ausmache ­ und etwas, das viele Europäer bereits besäßen.

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