Streiflichter vom „Südstern“: Ein SPD-Ortsverein in Berlin und seine Probleme

Berlin · Die Zahl der Nichtwähler steigt seit Jahren, die der Parteimitglieder sinkt. Und populistische Strömungen finden rasant Zulauf. Jetzt scheint ein kritischer Punkt erreicht. In unserer neunteiligen Serie „Volksparteien in der Krise – Demokratie in Gefahr?“ zeigen wir Beispiele, beleuchten Ursachen und suchen nach Antworten. Heute Teil 2.

 Foto: Privat

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Die großen Fenster geben den Blick frei ins Grüne. Davor sind Tische zu einem großen Quadrat gestellt. Sitzung der "Abteilung Südstern". In Berlin organisieren sich die SPD-Mitglieder nicht in Ortsvereinen, sondern in Abteilungen. Und die "Abteilung Südstern" ist durchaus ein Leuchtturm im eher grauen Dasein der Partei. 14 Genossinnen und Genossen sind an diesem Dienstagabend gekommen. Wie zum Beispiel Edith, eine resolute Dame, die das Parteibuch schon seit 60 Jahren besitzt. Oder Hannelore, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft "60 plus". Der typische "Südstern"-Genosse zählt allerdings eher halb so viele Lebensjahre wie Ediths Parteimitgliedschaft. Selbst die Abteilungs-Vorsitzende Anja Möbus, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag, ist gerade einmal 32.

Bei den Parteien wird die Überalterung langsam zum Problem. Auch in der SPD liegt der Schnitt inzwischen bei 60 Jahren. Der Bergmann-Kiez mitten in Berlin-Kreuzberg ist für die Sozialdemokraten allerdings ein Jungbrunnen. Früher Proletarier-Gegend, heute Szene-Bezirk. Studenten, coole Typen und Lebenskünstler wohnen jetzt hier. So wie Jörg Albrecht. Der 34jährige Mann mit längerem Haar stellt sich als Freiberufler und Filmemacher vor. Schriftsteller war er auch schon mal. Jörg will in die SPD eintreten. Deshalb ist er heute gekommen. "Das linke Denken könnte stärker werden" , meint Jörg zur Begründung.

Im "Südstern" ist er da zweifellos richtig. Als die SPD Ende 2013 bundesweit über den Eintritt in die große Koalition auf Bundesebene abstimmte, waren sie hier dagegen. Knapp zwar, aber dagegen. Und als die SPD im vergangenen Jahr eine schärfere Asylgesetzgebung mittrug, gab es gleich fünf Parteiaustritte.

Sara, eine Mitarbeiterin aus dem Willy-Brandt-Haus, ist an diesem Abend gekommen, um über ein brisantes Thema zu referieren: Wie mobilisiert man Nichtwähler? "Als alle noch bei Siemens gearbeitet haben, konnten wir uns vor die Werkstore stellen", sagt Sara. "Jetzt schaffen wir es gar nicht mehr, überall präsent zu sein". In Berlin gibt es kaum noch Industriewerke. Also müsse man neue Orte suchen, um ins Gespräch zu kommen, die Nachbarschaft zum Beispiel. Bei Hannelore, seit nunmehr fast vier Jahrzehnten Parteimitglied, kommt Frust auf. Was da jetzt diskutiert werde, sei doch "Schnee von gestern". Hausbesuche bei den Leuten habe man auch schon früher gemacht, und Brötchen geschmiert. Aber inzwischen sei "Vieles den Bach runter gegangen". Tanita, Juristin und erst seit wenigen Jahren in der SPD, widerspricht energisch. Es fehle doch nicht an Angeboten, Tür-zu-Tür-Begegnungen oder Straßenaktionen. "Aber die SPD hat eben auch ein großes Glaubwürdigkeitsproblem", klagt Tanita. Sie kenne Leute, die hätten richtig Hass auf die Partei. "Mit Gabriel brauchst du denen nicht zu kommen".

Der Bundesvorsitzende polarisiert. Auch an der SPD-Basis. Anja Möbus hat da ebenfalls ihre Schwierigkeiten. Gabriel sei "zu unstet", ohne "ganz klare Linie". Warum sie trotzdem Genossin ist? Regine Hildebrandt, die erste brandenburgische SPD-Sozialministerin nach der Einheit und Mutter Courage des Ostens, habe ihre Familie geprägt, schwärmt die gebürtige Lausitzerin. Und dass die SPD das Soziale in den Vordergrund rücke. "SPD-Wähler erwarten, dass man soziale Themen umsetzt", sagt Anja.

Beim "Südstern" graust es die meisten Mitglieder deshalb bis heute vor der "Agenda 2010", dem Reformprogramm der Regierung Schröder. Auch Tanita sieht darin die Ursache allen Übels für die Sozialdemokraten. "Wir müssen auch eingestehen, Fehler gemacht zu haben", fordert Tanita. Von solcher Art politischer Selbstkasteiung hält die Referentin aus dem Willy-Brandt-Haus hingegen wenig. "Wenn eine Entscheidung einmal getroffen ist, muss man hinter ihr stehen", erklärt Sara. Auch das habe schließlich mit Glaubwürdigkeit zu tun. "Wie sollen denn sonst die Wähler hinter uns stehen", fragt Sara rhetorisch.

Online-Kampagnen, Zielgruppen-Spezifik, Partizipation - zuweilen schwebt die Debatte in akademischen Sphären, was auch daran liegt, dass Bildungsschwache und Bewohner von sozialen Brennpunkten, um die sich die Partei laut Sara viel stärker kümmern muss, erkennbar nicht mit am Tisch sitzen. "Lösungen hat irgendwie niemand parat", resümiert Hendrik, ein 25jähriger Student. Am Ende der fast zweistündigen Veranstaltung wirbt Anja bereits für den nächsten Termin: "Übernächstes Wochenende ist wieder Tür-zu-Tür-Schulung".

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