TV-Interview mit Iris Berben

Schauspielerin Iris Berben liest am Samstag in Prüm aus der Biografie eines großen Kollegen: Alexander Granachs „Da geht ein Mensch“. Mit dem TV redet sie über Sprache, Schauspielerei, die deutsche Vergangenheit - und über Herrn Klose aus St. Peter-Ording. Das ausführliche Interview finden Sie hier!

Frau Berben, Sie kommen mit einem schönen Buch nach Prüm...
Ja, und was bei Granach ganz im Vordergrund steht, ist seine Sprache. Er zieht dich mit, er beschreibt alles so bildlich, Gerüche zum Beispiel, dass du sie geradezu mitriechst.
Das Ungewöhnliche ist ja, dass dieser Mann eigentlich aus dem Schtetl kommt - aus einem Leben, das so weit entfernt war von dieser Theater- und Filmwelt. Aber seine Wurzeln haben ihn immer begleitet - seine Kindheit, seine Familie, das ist immer ein Teil von ihm gewesen. Das finde ich so bewundernswert. Und dass er ein so ungeheurer Kämpfer war.

...der sich sogar in einer hochriskanten Operation die Beine brechen und begradigen ließ.
Das ist eine der beeindruckendsten Szenen. Und das schildert er so eindringlich, so tief, so genau und mit so viel Schmerz verbunden, dass man es absolut nachempfinden kann. Und genauso beschreibt er auch den Schmerz des Lebens, der Erinnerung, der Gefühle.

Seine, wie er fand, krummen „Bäckerbeine“ haben ihm zu Schaffen gemacht, wenn er auf einer Bühne stand. Diese Verunsicherung, kennen Sie die auch? Dieses Gefühl: Eines Tages erkennen alle Deine Schwäche...
Diesen Satz kenne ich sehr gut, ich denke auch immer: Irgendwann fliegst du auf. Aber es geht in unserem Beruf darum, Figuren zum Leben zu erwecken. Da ist immer auch ein Stück von unserem Leben drin, es wird Teil unserer Interpretation. Und so, wie man sich selbst weiterentwickelt, so kommt man ja auch nie zu einem Ende, man sagt sich nie: Jetzt weiß ich, welche Schublade ich aufmachen muss. Die Routine schwebt über einem wie eine Gefahr. Und deshalb ist es wichtig, dass man immer wieder Menschen trifft, die einen da rausholen.

Alexander Granach ist ein Autor, bei dem viel zusammenkommt, was Ihre Arbeit und Ihr Engagement betrifft: Schauspielerkollege, jüdischer Exilant - und damit die Verbindung zu Ihrem Einsatz gegen den Antisemitismus.
Ich kann mich da nur wiederholen: Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir unsere Biografie kennen müssen. Wir sind Teil einer Gesellschaft, und diese Gesellschaft hat eine Vergangenheit. Es ist eine Verpflichtung, dass man diese Vergangenheit versucht zu begreifen. Es geht nicht um Schuld, es geht um Mitverantwortung. Das kann doch nicht so schwer sein. Das Schwierige ist, für Menschen, die diese Überzeugung nicht haben, Zugänge zu finden. Dazu gibt es viele Wege - ich versuche das mit Lesungen, über Geschichten, über Emotionen, über Schicksale, die man aus ihrer Anonymität herausholen muss, um sie erlebbar zu machen.

Ihre Prominenz setzen Sie da ganz bewusst ein.
Und ich habe lange gebraucht, mich das zu trauen. Man weiß ja um Vermarktung, um Öffentlichkeit, um den Zynismus der Presse - darum, dass einem das vielleicht um die Ohren gehauen wird.

Glauben Sie, mit Ihrem Einsatz etwas bewirkt zu haben?
Wir wollen ja immer Erfolge sehen. Aber ich bin immer noch dabei, mir das abzutrainieren. Ob ich was erreicht habe? Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es gibt manchmal so kleine Geschichten, wenn dir Schüler schreiben und dir erzählen, was sie an ihrer Schule auf die Beine stellen, da gehe ich dann hin und versuche ihnen Mut zu machen. Denn Resignation ist der Sieg der Anderen. Resignation wäre das Schlimmste.

Bloß nicht aufgeben...
Man muss weitermachen. Das wird nicht immer leicht sein, es ist aber etwas, das einem à la longue auch immer wieder Komplizen zuspielt. Meine Erkenntnis nach vielen Jahren ist: Man wird nie an den Punkt kommen, wo man fertig ist damit. Es wird nie erledigt sein, und jede Generation wird sich neu damit auseinandersetzen müssen. Als ich mit 18 Jahren zum ersten Mal nach Israel kam, da habe ich noch gedacht: Nein, so was wird nie mehr passieren. Und dann wird man älter, nimmt am Leben Teil - und dann ändert sich das. Die Rattenfänger gehen immer noch um. Und sie werden subtiler.

Noch einmal zurück zu Granach. Nach seinem ersten Theaterbesuch schreibt er: „Welch eine Welt! Das ist ja hundertmal aufregender als der aufregendste Traum!“ Empfanden Sie auch so, als Sie die Schauspielerei entdeckten?
Bei mir war das ganz anders. Als ich anfing, war mir mit Sicherheit noch gar nicht bewusst, was das für eine wunderbare Welt ist. Die Größe, aber auch die Verantwortung, die dieser Beruf mit sich bringt, ist mir erst viel später klargeworden, das hat sich im Laufe meines Lebens entwickelt.

Josef Zierden, der Organisator des Festivals, hat mir auch eine Frage mitgegeben. Es geht um Ihre ersten Lese-Erfahrungen. Um den Schulunterricht und welchen Einfluss der auf Sie gehabt hat.
Da hatte ich Glück: Wenn mich jemand für die Literatur begeistert hat, dann war das Herr Klose, mein Deutschlehrer am Gymnasium in St. Peter-Ording. Bei dem hatte ich in Deutsch eine Eins, bei den anderen stand ich immer nur zwischen Drei und Vier. Das war einfach ein toller Lehrer, der einen mitgezogen hat in eine Welt der Literatur, des Lesens und des Vorlesens. Aber vermutlich war ich - natürlich! - auch total verknallt.
Aber ich habe auch eine wunderbare Mutter, die viel liest. Wenn ich sie besuche, bringe ich immer stapelweise Bücher mit, dann lesen und diskutieren wir.

Am Samstag tun Sie das in Prüm. Haben Sie einen Wunsch an Ihr Publikum?
Ich habe gar keinen Wunsch. Ich bin eigentlich nur begeistert, dass das Festival großenteils ehrenamtlich organisiert ist, dass so viele daran mitarbeiten, Autoren ein Forum zu geben und zusammen so ein Ereignis zu stemmen. Es ist also weniger ein Wunsch als das Bedürfnis, Danke dafür zu sagen, dass sich Menschen so engagieren.

Die Fragen stellte unser Mitarbeiter Fritz-Peter Linden.

Iris Berben liest am Samstag, 31. Mai, 20 Uhr, in der Prümer Wandalbert-Hauptschule. Kartentelefon: Buchhandlung Hildesheim, 06551 / 2489.

EXTRA: Iris Berben

Die Vorleserin: „Ich habe Alexander Granach und sein Buch vor vielen Jahren kennengelernt und war von ganz unterschiedlichen Dingen begeistert“, sagt Iris Berben. „Das ist ein Mann mit einer ganz außergewöhnlichen Biografie - und mit eigentlich drei Karrieren: als Schauspieler ein großer Star auf der Theaterbühne, dann hat er in Hollywood Filme gedreht, und zuletzt wurde er Schriftsteller.“

Iris Berben liest am Samstag in Prüm aus Granachs bewegender Lebensgeschichte. Die 1950 geborene Schauspielerin war in rund 300 Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen, hat viele Hörbücher eingelesen und setzt sich seit Jahrzehnten gegen den Antisemitismus und für einen verantwortungsvollen Umgang mit der deutschen Geschichte ein. Für ihre Arbeit und ihr Engagement wurde Iris Berben vielfach ausgezeichnet, unter anderem 2002 mit dem Leo-Baeck-Preis, verliehen vom Zentralrat der Juden in Deutschland. (fpl)


EXTRA: Alexander Granach

Der Autor: Alle Schauspieler sind Geschichtenerzähler. Alexander Granach, 1890 in Galizien (in der heutigen Ukraine) als neuntes Kind einer jüdischen Bauernfamilie geboren, war das auch jenseits von Bühne und Leinwand, wie seine Autobiografie „Da geht ein Mensch“ (btb) beweist.

Granach spielte zu Beginn des 20. Jahrhunderts am Deutschen Theater Berlin bei Max Reinhardt und, unter anderem, in Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilmklassiker „Nosferatu“. Im Amerikanischen Exil arbeitete er mit Regisseuren wie Ernst Lubitsch („Ninotchka“) und Fred Zinnemann („Das Siebte Kreuz“). 1945 starb er, erst 55 Jahre alt, in New York. In einem Nachruf nannte ihn ein weiterer seiner Regisseure, Fritz Lang, einen Kämpfer „mit vorurteilslosem Gehirn, mit brennendem Herzen und mit einer starken Faust“. (fpl)

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