Der Kampf um die Macht

In den Köpfen der verantwortlichen Politiker von CDU und CSU dürfen derzeit in besonderem Maße gedankliche Prozesse vermutet werden, die ebenso vom Trachten nach Macht und Erfolg wie von taktischen Erwägungen geprägt sind.

Die Alltagspolitik muss sich dabei dem Ziel der Akteure unterordnen, um im Kampf um die innere Vorherrschaft in der Union eine möglichst günstige Ausgangsposition zu erreichen. Fragen der Steuer- oder Verkehrspolitik werden deshalb nicht (mehr) nach sachlicher Notwendigkeit beantwortet, sondern nach strategischen Gesichtspunkten ausgerichtet. Ein wesentlicher Grund, warum die Politik der großen Volksparteien CDU und CSU den Zustand der Wirrnis erreicht hat und nur noch unzureichend verstanden wird. Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der weiß: Die Machtfrage in der Union ist ungeklärt. Die CDU-Frontfrau Angela Merkel stößt auch nach dreijähriger Amtszeit als Parteivorsitzende auf Vorbehalte aus den eigenen Reihen. Starke konservative Kräfte wünschen sich eine starke konservative Figur an die Spitze und glauben, im hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch die richtige Persönlichkeit dafür gefunden zu haben. Koch selbst, dessen politische Potenz medienwirksam mit seinem Ehrgeiz korrespondiert, hat mit seinem Verhalten in jüngster Zeit den Glauben genährt, er habe Interesse an der Rolle einer Nr. 1, also an der Kanzlerkandidatur. Sein anschwellender Anspruch, der von Freund und Feind aufmerksam registriert wird, kollidiert indes mit den beruflichen Neigungen der Vorsitzenden Merkel. Überlagert wird die pikante Konstellation von den neu erwachten Ambitionen des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der wie Koch und Merkel nicht bereit ist, die Willkür des Schicksals zu akzeptieren. Aktiv versucht er deshalb Einfluss zu nehmen auf den Lauf der Dinge, wobei allerdings sein ständiges Zaudern an Buridans Esel erinnert, dem seine Unentschlossenheit zum Verhängnis wurde. Ex-Parteichef Theo Waigel, mit Stoiber in herzlicher Abneigung verbunden, legte jetzt den Finger in die Wunden des Bayern-Premiers, indem er Fragen nach dem Zustand der leicht erstarrten Staatspartei CSU aufwarf und "Erneuerung" anmahnte. Gleichzeitig unterstellt er Stoiber Ambitionen auf das Amt des Bundespräsidenten, was dem Vernehmen nach zwar zutreffend ist, aber dem Wahlkämpfer Stoiber gegenwärtig überhaupt nicht passt. Es wird noch eine Weile dauern, bis sich die Dinge sortiert haben. Die zu Regierungs-Chefs gereiften "jungen Wilden" reklamieren dabei ebenso Mitsprache ein wie die Bundestagsfraktion, in der sich eine diffuse Unzufriedenheit mit der Vorsitzenden Merkel breit gemacht hat. Es wird spannend sein zu beobachten, wie sich die Königin ohne Truppen - Merkel hat keinen starken Landesverband hinter sich - im Machtspiel der Männer positionieren wird. Wenn es ihr nicht gelingt, die Fliehkräfte in der Union zu bündeln, wird sie kaum obsiegen können. Ein Scheitern der Vorsitzenden aber würde weniger der "Männerfraktion" in der Union zum Vorteil gereichen als vielmehr einem politischen Rivalen, der seine Partei unangefochten dominiert: Kanzler Gerhard Schröder. Dann wäre die Union wieder dort, wo sie bei Kohl aufgehört hat. nachrichten.red@volksfreund.de

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