"Franzosen haben Angst vor Deutschlands Schwäche"

PARIS/TRIER. Er gilt als Mittler zwischen Deutschland und Frankreich: Alfred Grosser. Einerseits ist er seinem Geburtsland Deutschland verbunden, andererseits ist Frankreich seit 1937 sein Vaterland. Der Politikwissenschaftler des Pariser Institut d'études politiques ist dennoch ehrlich. Unbeliebte Wahrheiten gibt er an beide Seiten weiter, ungeschminkt, aber ohne Zeigefinger. Im TV- Interview spricht er über die deutsche Haltung im Irak-Konflikt, die französische Sturheit in der EU-Agrarpolitik und die Chancen für eine weitere Zusammenarbeit.

Deutschland und Frankreich haben vor wenigen Tagen den Elysée-Vertrag gefeiert. Wo steht die deutsch-französische Freundschaft nach 40 Jahren?

Grosser: Die deutsch-französische Freundschaft ist viel älter. Der entscheidende Durchbruch war der 9. Mai 1950. Und der letzte Vertrag, der etwas regelte, ist von 1956: Die Saar wird deutsches Land, und die Mosel wird kanalisiert, was natürlich auch Luxemburg und Trier betroffen hat. Heute läuft es zwischen Deutschland und Frankreich besser als noch vor drei Wochen oder einem Monat. Aber viele Standpunkte zwischen den Regierungen bleiben verschieden. Es geht besser als vor drei Wochen, sagen Sie. Haben die Feiern dem deutsch-französischen Motor wieder Benzin gegeben? Grosser: Oder der deutsch-französische Motor ist wieder angesprungen, weil es die Feiern gegeben hat. Denn weil man aus diesem Anlass etwas vorschlagen musste, gibt es die gemeinsame Position für den europäischen Konvent. Aber da hat sich leider der Vorschlag von Gerhard Schröder und Jacques Chirac durchgesetzt und nicht der von Joschka Fischer. Warum leider? Grosser: Ich bin völlig auf Fischers Seite. Er will, dass die EU-Kommission eine echte Regierung wird, dass der Chef dieser Regierung vom Parlament gewählt wird, ohne dass er von den Regierungen bestätigt wird. Außerdem werden dann die Gesetze von den Regierungen gemacht und nicht von der Kommission und dem Parlament. Hat Fischers Position denn im Konvent noch eine Chance? Grosser: Ich glaube nicht, denn Großbritannien muss auch sein Ja geben. Und es findet die Schröder-Chirac-Position die bessere. Welche Bedeutung hat die deutsch-französische Freundschaft künftig in Europa? Grosser: Zuerst mal muss man sehen, was bislang schon alles bewältigt worden ist. Das gilt im übrigen auch für Deutschland und Polen. Es war beispielsweise schön zu sehen, dass die beiden Parlamente zur Feier des Elysée-Vertrages zusammengekommen sind. Das war auch historisch wichtig. Es bleibt dennoch viel zu bewältigen. Was ist noch zu bewältigen, und wie kann das geschehen? Grosser: Frankreich sollte nicht mehr zu sehr die Agrarseite betonen, dass seine Bauern auch künftig noch viel zu viel Geld bekommen müssen. Und Deutschland muss einsehen, dass seine Exportbilanz nur deshalb so positiv ist, weil es die Europäische Union gibt. Mit der großen weiten Welt ist Deutschland nämlich im Defizit. Kein Land hat so sehr von der Wirtschaftsgemeinschaft profitiert wie Deutschland. Also ist es nicht so wichtig, ob es etwas mehr oder weniger bezahlt. Und dann gibt es die Uno, wo man zu zweit drinsitzt, ohne eine gemeinsame Position im Irak-Konflikt zu vertreten. Frankreich sagt, Militärgewalt gibt es nur mit der Uno und der Absicherung durch den Sicherheitsrat das finde ich richtig. Schröder sagt: Egal, wie es sei, ein Irak-Krieg ohne uns das finde ich nicht richtig. Wie bewerten Sie die aktuelle Problematik im Irak-Konflikt? Grosser: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Irak viel versteckt und viel lügt, ist stark gewachsen. Also gibt es immer mehr Gründe, eine Armee in den Irak marschieren zu lassen. Hätte eine gemeinsame deutsch-französische Position eine Chance? Grosser: Das hängt von Bundeskanzler Schröder ab. Denn ich weiß nicht, wie er nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen sprechen wird. Sie haben ein neues Buch geschrieben: Wie anders sind die Deutschen. Was macht denn die Deutschen für Franzosen so merkwürdig oder unverständlich? Grosser: Sie sind weder merkwürdig noch unverständlich. Das sind auch nicht mehr die Fragen, die gestellt werden. Was allerdings für die Franzosen unverständlich ist, ist die Frage, warum das starke Deutschland wirtschaftlich so schwach ist und zusammenbricht. Das ist die eigentliche Angst der Franzosen vor Deutschland heute. Es ist die Schwäche Deutschlands, nicht die Stärke. Wie versuchen Sie, das den Franzosen zu erklären? Grosser: Ja, man darf nicht unterschätzen, was die Wiedervereinigung kostet. Es gibt also Dinge, die zwischen beiden Nationen nicht verstanden werden... Grosser: ...innerhalb Deutschlands ja auch nicht. Westdeutschland hat immer noch nicht verstanden, wie man am besten mit Ostdeutschland zusammenarbeitet. In Ostdeutschland gibt es dagegen immer noch eine gewisse Wehleidigkeit und Selbstmitleid, was übertrieben ist. Und imWesten herrscht eine Arroganz, die auch nicht überwunden ist. Wie sieht Ihre Prognose in den nächsten Jahren für Frankreich, für Deutschland, für Europa aus? Grosser: Ich glaube, man wird immer mehr auf den anderen angewiesen sein, was nicht immer heißt, dass man auch neues Benzin in den europäischen Motor bringen kann. Und man arbeitet immer mehr zusammen. Wenn man bedenkt, im Europäischen Rat hat man bereits im Paar gesessen Innenminister neben Innenminister, Verteidigungsminister neben Verteidigungsminister und jedes Paar musste erklären, was es zusammen im kommenden Jahr macht. Es wird künftig mehr französische Beamte in der deutschen höheren Verwaltung geben und umgekehrt, die nicht dort zu Besuch sind, sondern normale Mitwirkende sein werden. Das gibt es zwischen Deutschland und keinem anderen Land, und auch nicht zwischen Frankreich und einem anderen Land. Das Gespräch mit Alfred Grosser führte unsere Redakteurin Sabine Schwadorf.Alfred Grosser wird am Montag, 3. Februar, auf Einladung der Universität Trier, der Deutsch-Französischen Gesellschaft Trier und der Volkshochschule Trier an die Mosel kommen sein. Er referiert um 19.15 Uhr im Hörsaal 6 der Universität Trier zum Thema "Deutschland, Frankreich, Europa: was nun?"

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort