Gescheitert an Flügelkämpfen

Berlin . Das deutsche System der paritätischen Mitbestimmung scheint gesichert. Die Kommission zur Erarbeitung von Reformvorschlägen legte nach mehr als einjähriger Arbeit ihre Ergebnisse vor. Für den Kommissionsvorsitzenden Kurt Biedenkopf (CDU) hat sich das paritätische Modell bewährt. Es soll aber weiterentwickelt werden.

Armer Kurt Biedenkopf. Der Mann hat sich ein Jahr lang nach Leibeskräften bemüht. Und auch gestern versuchte er noch angestrengt, den Misserfolg seiner Kommission zur Reform der Mitbestimmung in Deutschland zu glätten - mit der Verkündung des kleinsten gemeinsamen Nenners: Es gebe keinen Anlass, so Biedenkopf bei der Bewertung der Ergebnisse, "eine Veränderung der Grundsatzentscheidungen des Gesetzes von 1976 zu empfehlen". Ergo: Bei der Unternehmensmitbestimmung soll alles bleiben, wie es ist. Kanzlerin Merkel, die den Abschlussbericht überreicht bekam, kann das nur recht sein. Damit lässt sich galant Streit in der Koalition umschiffen. Ohnehin war es nicht die Idee Merkels, diese Kommission einzuberufen. Die hatte ihr Vorgänger Gerhard Schröder. Der damalige Kanzler wollte das deutsche Mitbestimmungsmodell modernisieren und als "Kernbestandteil der Sozialen Marktwirtschaft" europatauglich machen.Kaum war aber die neunköpfige Kommission installiert, begannen die Flügelkämpfe zwischen den drei hochrangigen Gewerkschaftsvertretern - darunter DGB-Chef Michael Sommer - und den drei Gesandten des Arbeitgeberlagers, darunter BDA-Präsident Dieter Hundt. Mittendrin: drei wissenschaftliche, neutrale Mitglieder. Keine guten Voraussetzungen, um am Ende politisch gehört werden. Gleich mehrfach wurde das Scheitern der Kommission verkündet, zuletzt nach einem letzten Schlichtungsversuch Anfang November. Das Gremium arbeitete daher weitgehend ohne die beiden Parteien weiter.

Nach Auffassung der Gewerkschaften ist Mitbestimmung ein wesentlicher Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft, weil sie Unternehmer-Willkür begrenzt, die Mitarbeiter motiviert, sie bei schwierigen Veränderungsprozessen einbindet und dabei auch ihre Kompetenzen nutzt. Die Arbeitgeber sehen das anders: Sie glauben, die Mitbestimmung habe sich zum Nachteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland und zur Gefahr für Wachstum und Arbeitsplätze entwickelt. Ihre Grundsatzforderung war daher, die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat auf ein Drittel zu reduzieren. Laut Gesetz darf die Belegschaft in die Aufsichtsräte die gleiche Anzahl von Mitgliedern entsenden wie die Anteilseigner. Derzeit gibt es diese "paritätische Mitbestimmung" in fast 800 Unternehmen mit jeweils mehr als 2000 Beschäftigten.

Entlang dieser Konfliktlinie war keine Einigung möglich. Also gab es gestern auch zwei Stellungnahmen der zerstrittenen Lager für die Kanzlerin. Biedenkopfs Abschlussbericht schlägt nur marginale Änderungen vor. So müssten etwa in deutschen Konzernen mit ausländischen Standorten auch Mitarbeiter externer Unternehmensteile Gelegenheit zur Mitsprache bekommen. Dies könne entweder im Aufsichtsrat oder in Extra-Gremien geschehen.

Die Koalition dürften solche Ideen nicht in Unruhe versetzen. Im Koalitionsvertrag hatten beide Seien zwar vereinbart, die Empfehlungen aufzugreifen. Jedoch nur, wenn sie "einvernehmlich erzielt werden", heißt es in dem Vertrag. Die Bundesregierung wolle den Bericht nun erst einmal analysieren, ließ Kanzlerin Merkel gestern verkünden. Man kann auch sagen: auf die lange Bank schieben.

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