Kommentar: Ein überflüssiges Tabu - Der Kampf gegen den Analphabetismus nützt allen

Allen Aufklärungskampagnen zum Trotz: Nicht richtig lesen und schreiben zu können, ist immer noch ein gesellschaftliches Tabuthema. Darüber spricht man nicht. Merkwürdig: Wer mit Zahlen und Rechenoperationen nicht gut zurechtkommt, wird sich selten dafür genieren. Wer aber mit Buchstaben auf Kriegsfuß steht, findet das meist furchtbar peinlich.

So entsteht aus einem zeitweiligen, durchaus behebbaren Mangel ein lebenslanges Problem. Nicht, weil man das Lesen und Schreiben nicht mehr lernen könnte. Sondern weil die Hemmschwelle zu groß ist sich zu outen, und sei es nur durch den Besuch eines entsprechenden Kurses.
Daraus resultiert ein doppeltes Problem. Der oder die Betroffene ist von wesentlichen Teilen des Lebens ausgeschlossen, in der beruflichen Karriere beschränkt, zu dauerndem Versteckspiel gezwungen. Und die Gesellschaft verliert wichtiges Potenzial, denn Analphabeten sind keineswegs dümmer oder unfähiger als andere. Doch Aufgaben, bei denen Schreiben und Lesen entbehrlich ist, gibt es immer weniger. Oder wenn, dann miserabel bezahlt. So liegen die Fähigkeiten und Talente von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche oft brach.
Es lohnt sich, in diesen Sektor zu investieren. Schön, dass man das in Trier früher erkannt hat als anderswo. Dass aus dem Bündnis für Alphabetisierung und Grundbildung nun ein bundesweit gefördertes und anerkanntes Modellprojekt sprießt, ist eine tolle Anerkennung. Noch schöner wäre es, wenn die Menschen vor Ort das Thema nicht nur den Experten überließen. Betroffene ermuntern, blöde Sprüche meiden, eigene Schwächen offen eingestehen, selber helfen - etwa als Lesepate: So würde Trier und Umgebung wirklich zum Modell. d.lintz@volksfreund.de

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