Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen über das Internet nimmt zu (Video)

Trier · Cybergrooming: Eltern merken oft zu spät oder nichts davon. Die Polizei weist mit einer europaweiten Kampagne auf die Gefahr der sexuellen Nötigung und Erpressung im Internet hin.

Wie es funktioniert, zeigt ein Video. "Schicke mir bitte ein Nacktfoto von Dir", schreibt da ein Erwachsener, der sich im Internetprofil als sportlich trainierter Jugendlicher ausgibt, an ein junges Mädchen. Als er es bekommt, fordert er mehr. "Sonst verbreite ich Dein Bild an Deiner Schule." Europol, die Europäische Kriminalpolizei mit Sitz in Den Haag, weist mit dem zehnminütigen Film auf die Gefahr der sexuellen Nötigung und Erpressung von Kindern und Jugendlichen im Internet hin. Es ist Teil einer europaweiten Kampagne , an der sich auch die Kriminalpolizei Rheinland-Pfalz beteilt. Cybergrooming ist das Thema, das neben der Jagd nach kinderpornografischen Fotos und Videos immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Das zeigen auch die Daten, die dem Trierischen Volksfreund vorliegen. Demnach hat sich die Zahl der Ermittlungen wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern bis 14 Jahre mit dem "Tatmittel Internet" von 79 im Jahr 2015 auf 158 im vergangenen Jahr exakt verdoppelt. Bei Jugendlichen ist die Steigerungsrate sogar noch höher, die Fallzahl aber mit 17 Fällen (vier im Jahr 2015) deutlich geringer.

Dass damit bei Weitem nicht alle Straftaten erfasst sind, weiß auch die Kriminalpolizei. "Eine Schätzung zum Dunkelfeld liegt uns nicht vor", sagt eine Sprecherin und empfiehlt Eltern die Broschüre "Klicks-Momente", in der die Polizei über Gefahren und Präventionsmöglichkeiten aufklärt.

Dass beim Thema Cybergrooming nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar wird, weiß auch Beate Walgenbach vom Kinderschutzbund Trier. "Bei uns kommt es jährlich zu fünf oder sechs Anfragen, die aber nicht die Realität abbilden", sagt die Diplom-Pädagogin und Mitarbeiterin des Kinderschutzdienstes. Der kümmert sich um Kinder und Jugendliche, die Gewalt erfahren haben.

Konkrete Beispiele für solche sexuellen Straftaten im Internet bot am Mittwoch ein Prozess vor der Großen Jugendstrafkammer des Landgerichts Trier . Ein wegen des Besitzes von kinder- und jugendpornografischen Fotos und Videos bereits vorbestrafter Mann aus dem Kreis Bernkastel-Wittlich ist dort zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt worden. Das Gericht unter Vorsitz von Günther Köhler folgte dabei vollständig dem Antrag von Staatsanwalt Christian Hartwig.

Besonders strafmildernd war, dass der 31-Jährige Reue zeigte und alle Anklagepunkte gestand. So sind der heute 14-jährigen Geschädigten und Nebenklägerin die detaillierte Schilderung der einvernehmlichen sexuellen Übergriffe erspart geblieben. Der Mann hat nun vier Jahre Bewährungszeit, um seine pädophilen Neigungen mit sexualtherapeutischer Unterstützung loszuwerden. "Bei jeder Missachtung der Auflagen sind Sie reif für die Sicherungsverwahrung", machte Richter Köhler deutlich.

Doch nicht alle Straftäter im Internet werden aufgrund sexueller Neigungen aktiv. Es geht um Erpressung, Macht und Geld. "Die Täter suchen sich ihre Opfer gezielt aus", sagt Beate Walgenbach. "Kinder und Jugendliche, die sich einsam fühlen und ein geringes Selbstwertgefühl haben, werden angesprochen, oft bewusst auch Kinder von Alleinerziehenden oder Kinder aus problembelasteten Familien."

Besonders im Pubertätsalter, in der Phase der Selbstfindung und der Auseinandersetzung mit der eigenen körperlichen Entwicklung, sind Kinder empfänglich und offen für einen Menschen, der sich für sie interessiert und für den sie scheinbar wichtig sind.

"Denn Eltern fällt es oft sehr schwer, Veränderungen im Verhalten ihrer Kinder richtig zu deuten", weiß Beate Walgenbach aus ihren Erfahrungen, die sie auch als ausgebildete psychosoziale Prozessbegleiterin für Kinder und Jugendliche gemacht hat. "Seit dem 1. Januar haben die Betroffenen darauf ein Recht. Damit können weitere Traumatisierungen verhindert oder zumindest reduziert werden."

Die Folgen für die Kinder sind unterschiedlich und können dramatisch sein, wie der aktuelle Fall in Trier zeigt. Nicht nur, aber auch wegen der unglücklichen "Beziehung" mit dem 31-Jährigen hat sich die Jugendliche geritzt, also Schnittwunden zugefügt, und in jugendpsychiatrische Behandlung begeben.

"Je nach Intensität, Schuld- und Schamgefühl reagieren die Kinder und Jugendlichen unterschiedlich", sagt Beate Walgenbach vom Kinderschutzdienst. "Problematisch ist die Angst vor der weiteren Nutzung des Bildmaterials, der Bloßstellung vor anderen und die bleibende Unsicherheit."
CYBERGROOMING: DIE GEFAHR IM INTERNET

Die meisten Kinder und Jugendlichen nutzen das Internet vor allem, um mit anderen zu kommunizieren - sei es im Chat oder über soziale Netzwerke. Doch auch bei der Kommunikation lauern Gefahren, die junge Menschen oft unterschätzen. Beim sogenannten Cybergrooming bahnen Erwachsene über das Internet Kontakt zu Kindern an, um sie in sexueller Weise zu belästigen. Sie geben sich dabei beispielsweise in Chatforen, über die auch Kinder und Jugendliche kommunizieren, als Gleichaltrige aus. Nach dem ersten Kontakt versuchen Täter oft Kinder zu persönlichen Treffen zu überreden, um im schlimmsten Fall einen sexuellen Missbrauch begehen zu können.
Die Gefahr, im Internet sexuell belästigt zu werden, kann aber auch durch das Verhalten der jungen Internetnutzer erhöht werden. So können freizügige Bilder, die beispielsweise aus Imponiergehabe öffentlich ins Internet eingestellt werden, auch von Fremden eingesehen werden - und dadurch ein Anlass für Belästigungen sein.
Infos: www.polizei-beratung.de

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