Erinnerungen an die Goldenen Zwanziger

Schweich · In einem Liederabend in der Synagoge Schweich haben Ewald Schu und das Ensemble Choract aus Konz-Oberemmel das Berlin der 1920er Jahre wiederaufleben lassen. Neben Titeln aus der Feder Otto Reutters präsentierten sie Couplets und A-cappella-Gesang der Comedian Harmonists.

 Mit Frack, Handschuhen und Melone: Der Chansonnier Ewald Schu trägt Lieder seines Vorbilds Otto Reutter vor. TV-Foto: CENK CIGDEM

Mit Frack, Handschuhen und Melone: Der Chansonnier Ewald Schu trägt Lieder seines Vorbilds Otto Reutter vor. TV-Foto: CENK CIGDEM

Schweich. Die Leuchter der Synagoge Schweich werden am Samstagabend um 20 Uhr abgedunkelt. Im Blickfeld der 80 Zuschauer steht ein Herr im Hochzeitsfrack mit Glacéhandschuhen, einer Blume im Knopfloch und einer Melone auf dem Kopf.
Chansonnier Ewald Schu aus Konz-Oberemmel zeigt nicht nur, dass er Stil hat, sondern auch, wohin die Reise an diesem Abend gehen soll: auf die Berliner Varieté- und Kabarettbühnen der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Schon Erich Kästner und Kurt Tucholsky zählten zu den großen Bewunderern des Mannes, der mehr als 1000 Couplets getextet, komponiert und auch selbst vorgetragen hat: Otto Reutter (1870-1931). Dessen satirische Lieder kommentierten die gesellschaftlichen und politischen Zustände der damaligen Zeit.
Seit dem Tod von Reutter bemühen sich viele Comedians, das musikalische Erbe am Leben zu erhalten. Auch Ewald Schu teilt diese Leidenschaft fürs Kabarett, doch den Versuch, die typische Berliner Schnauze zu kopieren, wolle er gar nicht erst wagen.
Vor acht Jahren entschloss er sich dazu, selbst die Couplets seines Vorbilds auf den Bühnen der Region aufleben zu lassen und begeistert seitdem Besucher wie Walter Ludwig, der Schu für seine "sichere Stimme und Musikalität" zur Begleitung von Christoph Schach am Flügel lobt. Das Lied "Wie reizend sind die Frauen - erst haste se auf dem Schoß, dann am Hals" kommentierte Schu mit den Worten: "Hier hätte Alice Schwarzer ihre helle Freude dran." Zuschauerin Signi Müller schüttelte den Kopf, und mit einem Schmunzeln stellte sie fest: "Manche Dinge ändern sich eben nie."
Um die teilweise chauvinistischen oder spitzfindig pointierten Beobachtungen von Otto Reutter verstehen zu können, streute Schu zahlreiche Informationen über den Berliner Künstler ein, bevor weitere zeitlose Couplets folgten: die Nöte des legendären Restaurant-Gastes Fichte mit seiner Angst um den "Überzieher" oder die Aufforderung "Nehm Se\'n Alten - der is froh, wenn Sie\'n behalten".
Ein weiterer Höhepunkt des Abends war der klangvolle Auftritt des Ensembles Choract unter Leitung von Christoph Schach mit Hits der berühmten Comedian Harmonists. "Mein kleiner, grüner Kaktus", "Lass mich dein Badewasser schlürfen" oder Evergreens wie "Veronika, der Lenz ist da" kamen so gut an, dass das Publikum nach mehr verlangte. cig

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort