Die Prinzessin und die Zeit

LUXEMBURG. Eine Pop-Legende aus den 80ern meldet sich zurück: Kim Wilde hat sich bei ihrem Konzert im ausverkauften Luxemburger "Atelier" gut verkauft – ein paar Schwächen inklusive.

 Erst Sex-Symbol, dann Gärtnerin, nun zurück auf die Bühne: Kim Wilde erlebt als Sängerin ihren zweiten Frühling. Foto: Peter Sierigk

Erst Sex-Symbol, dann Gärtnerin, nun zurück auf die Bühne: Kim Wilde erlebt als Sängerin ihren zweiten Frühling. Foto: Peter Sierigk

Es klingt fast wie einst bei Heinz Sielmann. Die Expedition ins Männchen-Reich: "Der erste feuchte Traum der männlichen Bravo-Leserjahrgänge 67 bis 75." Das sei Sängerin Kim Wilde. So pauschalisierte "Die Welt" kürzlich die Kinderzimmer-Koryphäe im Blätterwald. Unsinn, unappetitlich! Möchte man als Nesthäkchen der Zielgruppe widersprechen. Dafür wurde schließlich damals Samantha Fox gebaut. Der ewige Badeanzug, der später in der US-Version Pamela Anderson hieß. Kim Wilde war Mitte der 80er-Jahre schon steinalt. Für Elfjährige zumindest. "Touch Me"-Sammy wiegte die Jungs in den unruhigen Schlaf, begleitete sie per Walkman durch sauren Regen und Frühlings-Erwachen.

Von Fältchen, Familie und Vergangenheit

Zurück ins Jetzt. "Ihr schafft es, dass ich mich wie eine Prinzessin fühle", kuschelt sich Kim Wilde ans Luxemburger Publikum. Platinblonde Mähne, schwarzes Shirt mit "Pirates!"-Aufdruck. So steht sie auf der Bühne im ausverkauften "Atelier". Die halbe Familie ist dabei. Die kleine Schwester singt Background, Bruder Ricki schwingt die Gitarre. Dessen Tochter Scarlett, am Vortag 18 Jahre alt geworden und ebenfalls mit dabei, bekommt ein Ständchen von den Luxemburgern gesungen. Als Tante Kim zuletzt auf Tour ging, war sie im Kindergarten. Es ist die erste seit fast anderthalb Jahrzehnten. "Ich bin 46. Das sieht man nicht, oder?", kokettiert Kim Wilde. Die Hüften sind voller geworden, die Kameras zeigen Fältchen, die das Licht gnädig versteckt. Kein Problem. Denn Kim Wilde hat mehr gewonnen als nur ein paar Pfunde. Sie ist nicht jung, nicht alt, also zeitlos. Sex verkauft nicht mehr, Vergangenheit aber schon. Vor allem, wenn man wie Kim Wilde mit "Kids in America" (als Zugabe) oder "Cambodia" Pop-Klassiker hat, die einigen Fans ein Stück Gestern zurückbringen. Im vergangenen Jahrzehnt wollte sie niemand hören. Da schulte Wilde in England auf Fernseh-Gärtnerin um. Bis sie die Retro-Welle zurück auf die Bühne trieb. Sie hat dabei nicht, wie viele andere, ihren Ruf verramscht. Kim Wilde wirkt anmutig, sympathisch, die Stimme jung wie immer. Nur gelegentlich muss sie bei den höchsten Tönen kämpfen.

Darüber sieht das Publikum hinweg. Die Zeitzeugen sind gekommen. Kaum jemand, der beim ersten Hit "Kids in America" aus dem Jahr 1981 noch nicht laufen konnte. Etwa der Nebenmann. Geschätzte 37, Sakkoträger: Er kultiviert einen Stechschritt-Disco-Fox, der vermutlich an die einzige Tanzschul-Stunde anno 1983 erinnern soll. Geklatscht wird immer. Ob aufgefordert oder nicht. Mit dem Takt, von manchen auch mutig dagegen.

Rausschmeißer und Kajagoogoo-Obelix

Kim Wilde macht es richtig. Sie bekommt die Leute noch. Zwar mag man das aktuelle Album mit neuen Songs und Dancefloor-Mutanten der Hits noch nicht mal dem Wirt der Nachbarkneipe schenken, damit der um fünf Uhr morgens endlich eine Alternative zur Peter-Maffay-Vollbeschallung hätte. Aber live ist das egal: Die Band rockt. Das Zusammenspiel passt, ebenso der Aufbau. Die Hits kommen am Ende. Dann Schlag auf Schlag. "You keep me hangin on" (im Original von The Supremes) gehört zu den besten Coverversionen der 80er. Die Kim-Wilde-Variante von Depeche Modes "Enjoy the Silence" passt auch. Warum sie aber Snow Patrols "Chasing Cars" nachspielt, erschließt sich nicht.

Auch bei den Füllern kommt nicht gleich Langeweile auf - dafür sorgen zwei Bandkollegen. Der Bassist trägt getönte Brille, Glitzer-Applikation am Oberarm, dazu einen schwarzen Rock. Auffälligstes Merkmal: zwei blonde Obelix-Zöpfchen. Der wuchtige Gitarrist, Typ Rausschmeißer, trägt Vollglatze und Ich-bin-böse-Bart. Es ist Kims kleiner Bruder Ricki. Ersterer ist Nick Beggs. Den kennen die ganz dreisten Zell-Belagerer im Langzeitgedächtnis noch als Bassisten von "Kajagoogoo". Damals war er noch Trendsetter. So hat auch das Heute seine guten Seiten.

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