Die Überlebens-Künstlerin

Trier · Weil früher alles schlechter war, musste "die Knef" immer besser werden. So entspann sich eine Karriere, die wie ein Märchen klingt. Ein grausames Märchen.

Man kann nicht behaupten, dass das Publikum auf sie gewartet hätte. Rote Rosen regnete es jedenfalls nicht. Wahrscheinlich war Begeisterung auch zu viel verlangt von Menschen, die einen Weltkrieg, ihr Vermögen und die halbe Verwandtschaft verloren hatten - das macht bitter. Und plötzlich steht eine Frau vor ihnen, die das Gegenteil verkörpert: Lebenshunger bis zur Selbstaufgabe, und dazu noch nackt. Für Hildegard Knef ist "Die Sünderin" nur ein Film, doch für die "gesund empfindende Bevölkerung" (so die Rheinische Post 1951) ist es ein Affront. Dass sie im wirklichen Leben einen amerikanischen Juden geheiratet und die US-Staatsbürgerschaft angenommen hat, macht die Sache nicht besser, zumindest in den Augen jener Deutschen, die eher oberflächlich entnazifiziert worden sind. So endet Hildegard Knefs erste Karriere.

Zweite Karriere in Hollywood



Die zweite beginnt in Hollywood. Dort hat sie es leichter. Amerikaner kennen keine "Schadenfreude". Und weil "Hildegarde Neff" (so ihr amerikanisierter Name) nicht nur in den richtigen Filmen mitspielt (z.B. "Schnee am Kilimandscharo"), sondern auch die Kunst des Nicht-Singens beherrscht, holt der Musicalschreiber Cole Porter sie an den Broadway. "Die beste Sängerin ohne Stimme" begeistert in 675 Auftritten als Ninotschka. Danach ist sie körperlich am Ende, aber seelisch obenauf. 1957 verlässt sie Amerika als Star.

Doch auf die zweite Karriere folgt zunächst keine dritte. Nach dem filmischen Desaster "Madeleine und der Legionär" ist Knefs wiedergewonnener Ruf erst ramponiert und dann, nach Bekanntwerden ihrer Beziehung mit dem damals noch verheirateten Schauspieler David Cameron, ruiniert. "Sünderin nun auch Ehebrecherin", titelt BILD 1959 gewohnt feinfühlig, woraufhin Dutzende deutscher Kleinstädte ihre Kinofilme auf den Index setzen.

Damit beginnt die eigentliche Karriere der Hildegard Knef. Denn was macht eine Frau, bei der Katastrophen und Triumphe zuverlässig einander abwechseln, die zwischen Pelzladen und Pfandhaus pendelt und bei der ein Blinddarmdurchbruch zu den harmloseren Gebrechen zählt ("Museum des Grauens" nennt ein Arzt ihren Körper - da war sie grad mal 42 und hatte schon rund 50 Operationen hinter sich). Sie nimmt ein Album mit dem Titel "So oder so ist das Leben" auf. Und das hat es im Wirtschaftswunderland, das mit Heimatfilmen und Heile-Welt-Schlagern den Verstand ins Wachkoma befördert, noch nicht gegeben: großstädtische Chansons, die von der Wirklichkeit erzählen.

Aufregende Mischung aus Beat und Barmusik



Atmosphärische Skizzen, bei denen sich Swing und Wehmut die Waage halten. Scharf gewürzt mit Selbstironie: "Von nun an ging's bergab" - spöttischer hat noch kein Künstler die eigene Laufbahn umschrieben.

Mit dem Erfolg wird sie wagemutig. "Knef", das Album aus dem Jahr 1970, ist eine geniale Zumutung; eine aufregende Mischung aus Beat und Barmusik, Expressionismus und Pop. Ihrer Zeit weit voraus floppt die LP. Doch das kann ihr egal sein. Denn im gleichen Jahr veröffentlicht sie ihre erste von drei Biografien. "Der geschenkte Gaul" wird weltweit zum bestverkauften deutschen Buch der Nachkriegszeit.

Brustkrebs, Morphiumsucht



Von da an geht es tatsächlich bergab. Brustkrebs, Morphiumsucht, halbleere Hallen, Schulden, Ende des Platten vertrags. Die Neue Deutsche Welle braucht keine Knef. Erst 1999 erlebt sie mit dem von Till Brönner produzierten "17 Millimeter" mal wieder ein Comeback. 2001 kleiden Club-DJs in "The Reform Sessions" ihre Lieder in House-, Drum'n'Bass- und Chillout-Sounds. Kurz darauf, am 1. Februar 2002, stirbt sie. Seitdem vergeht kein Jahr ohne Wiederveröffentlichung. Manches Album, wie das abgeklärte "Knef sings, Kaempfert swings" (Originaltitel: "Eins & Eins"), verkauft sich heute besser als zu Lebzeiten. Sie ist selbst tot nicht totzukriegen, "die Knef".

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