Klonen statt Covern

FRANKFURT. Einmal Genesis, Pink Floyd oder Abba live miterleben: Für Millionen Konzertfans bleibt das ein Traum. Die Musiker sind im Seniorenalter, die Bands haben sich aufgelöst, die Shows sind unbezahlbar geworden. Aber da gibt es "The Machine", "Abbamania" oder die Könige des Genres, "The Musical Box". Sie sind längst weit mehr als Coverbands.

Es muss ein merkwürdiges Gefühl für Phil Collins gewesen sein. Vor vier Wochen, es war in Genf, kletterte er auf einen Schlagzeug-Stuhl und lieferte zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert die Original-Beats zum Genesis-Klassiker "The Musical Box". Seine Mitmusiker flippten aus, das Publikum geriet in Extase, und das alles für ein perfekt inszeniertes Déjà-vu-Erlebnis. Es waren nicht die Ex-Kollegen von Genesis, die Collins begleitete. Es war eine kanadische Band, deren Name "The Musical Box" sich aus eben diesem Klassiker ableitet. Seit 1993 rekonstruieren die fünf Musiker mit geradezu wissenschaftlicher Akribie die Genesis-Konzerte der frühen Siebziger Jahre und bringen sie weltweit als geklonte Version in die Konzertsäle. Anfangs war das ein Spaß für Insider. Aber von Jahr zu Jahr, von Tournee zu Tournee wuchs daraus ein sensationeller Massen- Erfolg. Wenn "The Musical Box" von Donnerstag bis Sonntag an vier aufeinander folgenden Abenden die Frankfurter Jahrhunderthalle füllt, dann gelingt ein solches Kunststück kaum einer aktuellen Live-Band. Vier Tage war in München die Bude voll, Hamburg, Oberhausen, Leipzig, demnächst vier Tage Stuttgart: Das deutsche Publikum strömt in die Genesis-Wiedergeburts-Feiern. Und in Kanada, den USA, Italien, der Schweiz, Benelux oder England ist es genau so. Die Art-Rocker stehen mit ihrem Revival-Erfolg nicht allein. In den USA feiert "The Machine" Triumphe, die sich dem Andenken von Pink Floyd gewidmet haben. Und in Europa sahen in den letzten drei Jahren Hunderttausende von Besuchern "Abbamania", jene Show, die ein Abba-Originalkonzert aus dem Jahr 1974 bis in den letzten Hüftschwung genau nachspielt. Auch "Queen" wird kopiert. Das Publikum lechzt angesichts des Verfallsdatums heutiger Chart-Stürmer nach den Göttern früherer Jahre. "Das ist schon eine Art Religion", sagt Winfried Völklein. Der Musik-Promoter muss es wissen. Er ist nicht nur Tour-Veranstalter, sondern auch Europa-Repräsentant von "The Musical Box" - und, wie man unschwer heraushört, ein Fan des Projekts. Wenn der Begriff "Cover-Band" fällt, dann stöhnt er auf. Nachspieler gibt's auf jedem Dorffest, aber was die Kanadier mit der Genesis-Show aus dem Jahr 1975 zum legendären Album "The lamb lies down on Broadway" machen, ist für ihn "echte Kultur, wie klassisches Theater". In der Tat haben die Musiker jahrelang an der Rekonstruktion des Originals gearbeitet. "The lamb" war eine Art Rock-Theater, mit einem mystischen Plot und fantasievollen Figuren. Aber es wurde nie auf Film gebannt und - jedenfalls offiziell - nie als Live-Mitschnitt veröffentlicht. Aus tausenden von Bildern, Studio-Bändern und Dokumenten aller Art wurde, unterstützt von den "echten" Genesis-Musikern, die jetzige Show zusammengepuzzelt.Manager werden zu kleinen Kindern

Das gemeinsame Nostalgie-Erlebnis bei den Konzerten lasse "Manager zu kleinen Kindern werden", hat Völklein beobachtet. Es gebe ein "soziales movement" zwischen den Menschen, die staunend die komplexen Klanggebilde und die imposanten Bilder erleben. Des Managers These vom Kultur-Ereignis Marke Mozart-Oper oder Shakespeare-Drama wird von einer erstaunlichen Entwicklung gestützt: Das Phänomen hat längst die Bildungstempel erreicht. Von "metaphysischen Dimensionen" und "archäologischer Genauigkeit" raunt es aus dem Allerheiligsten der deutschen Kultur, dem FAZ-Feuilleton. Die Kollegen von der Münchener TZ ehrten "The Musical Box" kürzlich für herausragende kulturelle Leistungen. Und bei der Publikumsabstimmung über das beste Konzert 2003 belegten die Kanadier Platz Eins - vor, Ironie des Schicksals, Original-Genesis-Sänger Peter Gabriel. The Musical Box, 17.-20. März, Jahrhunderthalle Frankfurt. Tickets: 069/1340400

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