Literaten gegen den Hass

IDAR-OBERSTEIN. Der Strudel der Gewalt, in den Israelis und Palästinenser zunehmend hinein geraten, zerstört auch persönliche Beziehungen. Umso erstaunlicher ist es, dass israelische, palästinensische und deutsche Literaten erneut in Rheinland-Pfalz zusammen gekommen sind. Sie halten eine Brücke des Verständnisses passierbar - eine der wenigen, die es noch gibt.

Ein guter Wille macht noch keinen Weg. Oder anders ausgedrückt: Wenn Israelis, Palästinenser und Deutsche aufeinander zu gehen, heißt das noch nicht, dass sie sich auch verstehen. 15 Schriftsteller haben es in Idar-Oberstein zwei Tage lang versucht: Sie haben aus ihren Werken gelesen und über ihre Literatur diskutiert.Ein höchst politischer Kongress, der bereits zum sechsten Mal von der Landeszentrale für politische Bildung organisiert wurde. Auch jetzt sind klangvolle Namen auf der Teilnehmerliste verzeichnet, etwa der bekannteste israelische Lyriker Asher Reich und der deutsche PEN-Präsident Johano Strasser.Freitod auf den Gleisen

Aus den palästinensischen Autonomiegebieten ist nur dem Politiker und Autor Sami al Kalani die beschwerliche Ausreise geglückt. Er macht deutlich, dass es bei dem trilateralen Treffen so manche kulturelle Hürde zu überwinden gilt - Chance und Mühsal zugleich.Die Berliner Schriftstellerin Katja Lange-Müller ist es, die in schockierender Detailschärfe den Tod eines Selbstmörders schildert, der von einem Zug überrollt wird. Eine Geschichte über das selbstzerstörerische Potenzial im Menschen, über den Versuch, auch die anderen mit dem eigenen Tod zu strafen.Aber auch eine Geschichte, die in den Ohren eines Israelis, dessen Volk unter grauenhaften Selbstmordanschlägen leidet, zwangsläufig ganz anders klingt. Und wieder neu wird die Schilderung von einem Palästinenser verstanden, dessen Landsleute scharenweise den Märtyrertod suchen. Sami al Kilani, der in Nablus lebt, irritiert es, dass ein Mensch sich ohne politisches Motiv vor die Gleise wirft. Ein kleines Beispiel für ein großes Problem: Die kulturelle Brille entscheidet, welche Botschaft empfangen wird. Ist vielleicht auch deswegen die Verständigung zwischen Moslems und Juden, Israelis und Arabern so schwierig?Auch eine zweite Geschichte von Katja Lange-Müller verstört die Zuhörer. In ihr steht ein mit Orden behangener und an den Rollstuhl gefesselter Kriegsveteran im Mittelpunkt, der seinem gezähmten Spatzen aus Enttäuschung und Wut das Genick bricht, weil er bei einer schönen Lyrikerin nicht landen kann. Und wieder ist es ein Palästinenser, der fragt, warum der Kriegsveteran als so schwach dargestellt wird. Eine Zeichnung, die dem arabischen Krieger-Mythos widerspricht. Und zugleich auch dort die Wahrheit spiegelt. Denn gerade in den Palästinensergebieten rutschen zahlreiche Kriegsversehrte in die soziale Verelendung ab.In Idar-Oberstein prallen kulturelle Sichtweisen aufeinander, ermöglichen Lerneffekte. Asher Reich sagt dazu vermittelnd: "Der Leser nimmt sich ohnehin immer das, was er für seine Welt benötigt."Der palästinensische Literaturwissenschaftler Muhammad-Faruk Mawasi provoziert mit einem anklagenden Gedicht, in dem er einen imaginären Dialog mit einem Israeli führt. Der Offizier umarmt zärtlich seine Kinder, nachdem er ein palästinensisches Kind getötet hat. Es spricht für das Niveau des Kongresses, dass es daraufhin zu keiner hitzigen, ideologischen Debatte kommt.Gedankenlos wird Kindern ein Gewehr gegeben

Die 27-jährige Israelin Klil Zisapel verblüfft die Palästinenser mit gesellschaftlicher Selbstkritik. Sie liest aus ihrem ersten Buch "Aus Engel, Fleisch und Blut" vor. Darin verbrennt eine junge Frau den Einberufungsbefehl der Armee für ihren bald 18-jährigen Bruder Daniel, um zu verhindern, dass sie ihn verliert.Zisapel prangert die "Gedankenlosigkeit" an, mit der in Israel halben Kindern ein Gewehr in die Hand gedrückt wird. Diese jungen Menschen seien nicht alt genug, um zu entscheiden, sagt sie. Der Krieg nimmt sie einfach gefangen. Sami al Kalani dankt der Israelin für ihre offenen Worte. "Das hilft mir zu verarbeiten, was ich erlebt habe." Kalani ist an einem Checkpoint drei Stunden von drei jungen israelischen Soldaten verprügelt worden. Sein Vergehen? Er hatte auf eine Frage die "falsche" Antwort gegeben. Die richtige kennt er bis heute nicht.

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