Sprachmeister und widersprüchliche Natur

Echternach · Als sprachgewaltiger Autor hat sich Martin Walser im luxemburgischen Echternach präsentiert. Seine Lesung war Teil der neuen Literaturreihe des Trifolions. Im Gespräch mit Weggefährte Manfred Osten zeigte der Schriftsteller seine vielen Facetten - von bissig bis bewegend.

 Seine Sprachmacht beeindruckt noch immer: Martin Walser in Echternach. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Seine Sprachmacht beeindruckt noch immer: Martin Walser in Echternach. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Echternach. "Die Sprache rettet wieder alles", hat er einmal notiert. Und so war es auch in Echternach. Die Sprache war es, die Martin Walsers Lesung im Trifolion zum Ereignis machte. Seine Sätze, die sich wie Serpentinen den Berg hinaufwinden oder sich regelrecht ins Gehirn bohren, die exakt sitzenden Spitzen, die brillianten Bissigkeiten und die anrührende Zärtlichkeit, wenn es um seine Töchter geht.
Inhaltlich unauffällig


Martin Walsers Sprachmacht ist atemberaubend. Ein genialer Meister der Sprache ist der 87-jährige Schriftsteller mit seinem untrüglichen Gefühl für ihren Klang, für den Rhythmus eines Satzes, für Farbe und Sinngehalt von Wörtern. Was sprachlich so gewaltig daherkam, blieb allerdings inhaltlich eher unauffällig. Wie dieser Tage vielerorts las Walser auch im Trifolion aus seinen Tagebüchern. Der Abend gab ihm recht: Tagebücher sollte man erst posthum veröffentlichen. Und vielleicht sollte man selbst auch gar nicht öffentlich vorlesen, was man ihnen einst aus dem geheimen Seelenkämmerlein anvertraut hatte. Die Echternacher Auszüge präsentierten, um es salopp zu sagen, "Walser soft".
Der Mann, der von sich sagt: "Ich bin durch Widerspruch geworden, der ich bin", trat im Trifolion als einer auf, der ein paar Rundschläge verteilte und ein wenig um sich biss. Den verstorbenen Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld traf es, der doch einst ein guter Freund war, den "dünnen" Walter Jens, der sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, als dass ihn Walsers später Intimfeind Marcel Reich-Ranicki lobte. Nicht besser erging es den Amerikanern, Helmut Schmidt, dem Philosophen Jürgen Habermas oder dem Kollegen Uwe Johnson.
In der ehemaligen DDR, erfuhr der Zuhörer zudem, saßen in den Verlagen fähige Verlagsleute und Kulturschaffende, denen unfähige Politiker die Hände banden. Was es auch anderswo geben soll. Manchmal kam hinter dem notorisch gekränkten, eitlen Ich-Erzähler der andere Walser hervor, jene widersprüchliche Natur, die ihn zum großen alten Mann der deutschen Literatur macht. Ihretwegen wurde der Abend bewegend.
Zornig und verwundbar


Dann trat der zornige Walser auf den Plan, den seine Verbitterung des Nachts umtreibt, der seine Erfolge gering achtet und dennoch um ihren Verlust bangt, der sich am liebsten vor der Welt zurückzöge, gegen die er unermüdlich zu Felde zieht. Den die Liebe zu seinen Kindern verwundbar und hilflos macht. Als Gesprächspartner hatte Walser wie so oft Manfred Osten mitgebracht, dessen rücksichtsvolle Fragen kaum mehr als ein paar Anekdoten zutage förderten. "Jeder Mensch ist ein Dichter", behauptete der Schriftsteller zum Schluss und gab ein paar eigene Kostproben. Seine Prosa bleibt weit überzeugender. er

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