Obdachlose machen Moselurlaub

BENGEL. Urlaub für Obdachlose: 18 Männer aus Köln genießen zur Zeit im Haus Springiersbach in Bengel fünf Tage Abwechslung vom Wohnheim-Alltag. Es sind Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ein eigenständiges Leben zu führen.

Fast alle haben schon auf der Straße gelebt - Menschen, die irgendwann Job und Wohnung verloren haben und nun in einem Übernachtungs- und Resozialisierungsheim des Johannesbundes Köln leben. Ein- bis zweimal im Jahr verlassen sie ihr Wohnheim, um Urlaub zu machen. Das Haus Springiersbach, eine Einrichtung des Erzbistums Köln, ist regelmäßig Ziel dieser Ferienfreizeiten. Diesmal sind 18 Männer gekommen und mit ihnen eine Krankenschwester, zwei Sozialarbeiter und ein Zivildienstleistender. Fünf Tage wohnen sie in der Ferienstätte, fünf Tage erleben sie eine "andere Welt". Sie machen eine Schiffstour auf der Mosel, fahren zur Cochemer Burg und in den Wild- und Freizeitpark in Klotten. 120 Euro kostet der Aufenthalt pro Nase, finanziert wird der Urlaub an der Mosel vor allem von Sponsoren in und um Köln. Die meisten Männer haben Suchtprobleme, sind Alkoholiker oder leiden unter Psychosen. Auf sich alleine gestellt, kommen sie nicht mehr zurecht. Da ist zum Beispiel Enrico. Der 37-Jährige lebte bis zur Wende in der damaligen DDR, war verlobt, machte eine Ausbildung zum Maschinenanlagenmonteur, arbeitete zwei Jahre als Flugzeugmechaniker bei der Nationalen Volksarmee, träumte von einem guten Sozialismus und blieb nach dem Ende der DDR zunächst "drüben". Seine Eltern zogen um nach Köln, er folgte kurze Zeit später. Im Westen kam er nicht zurecht, jobbte mal hier, mal da als Hausbursche auf einem Schiff, als Tellerwäscher und auf einem Reiterhof. Er war in einer Drückerkolonne unterwegs und rutschte immer weiter an den sozialen Rand der Wohlstandsgesellschaft ab. Seine Eltern hatten in ihrer Wohnung keinen Platz mehr. Irgendwann hatte er überhaupt keinen Job mehr und landete auf der Straße. Drei Jahre lebte er dort, dachte an Selbstmord, bis er eine Unterkunft beim Johannesbund Köln erhielt. Heute träumt er davon, als Künstler seinen Unterhalt zu verdienen. Die Ärzte sagten ihm, er sei narzisstisch und instabil. Stefan, ebenfalls 37 Jahre alt, ist seit 20 Jahren Alkoholiker. Der gelernte Gärtner verlor ebenfalls Job und Wohnung. Mehrere Entziehungskuren hat er hinter sich, die Sucht war aber immer stärker. Sozialarbeiter Michael Langanky sagt: "Wir versuchen den Leuten eine Perspektive zu geben. Den ein oder anderen können wir wieder ins normale Leben zurückbringen, bei sehr vielen gelingt das aber nicht mehr." Einige sind 60 Jahre und älter, der älteste gar 85 Jahre alt. Für sie beginnt der Tag mit einer Flasche Bier, erst danach setzen sie sich an den Frühstückstisch. Krankenschwester Susan Bagdac, die gerade einem alten Mann die offenen Beine verbunden hat, versorgt die meisten mit Medikamenten. Einige sind Epileptiker, fast alle haben ein Suchtproblem. "Die ganz Kranken bleiben zu Hause", sagt die junge Frau. Die Ruhe hier, die Abwechslung, das sei schon gut.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort