Schicksale führen zusammen

Bernkastel-Kues · Innerhalb einer Sekunde ist alles anders: Ein Schlaganfall ändert das Leben vollkommen. Das wissen auch die 30 Betroffenen, die sich seit fünf Jahren in der Selbsthilfegruppe Aphasie und Schlaganfall in Bernkastel-Kues treffen.

 Sie alle haben einen Schlaganfall erlitten: Hans-Josef Schwaab, Karin Kappes, Martina Schwaab, Erich Caspari und die Gründerin der Selbsthilfegruppe Karin Schneider (von links). TV-Foto: Claudia Szellas

Sie alle haben einen Schlaganfall erlitten: Hans-Josef Schwaab, Karin Kappes, Martina Schwaab, Erich Caspari und die Gründerin der Selbsthilfegruppe Karin Schneider (von links). TV-Foto: Claudia Szellas

Bernkastel-Kues. Karin Schneider (57, Veldenz) gründete die Selbsthilfegruppe 2008. Sie war Masseurin, und eine Darmoperation vor 16 Jahren veränderte ihr Leben: "Ich lag fünf Tage im Koma. Am dritten erwischte mich der Schlaganfall. Als ich aufwachte, konnte ich nur Ja oder Nein sagen." "Meine rechte Gesichtshälfte ist wieder ok, der Rest ist weiter beeinträchtigt." Schneider hat wie viele aus der Gruppe gelernt, dass es auch mit links geht. Sie redet bedächtig, muss überlegen, bevor sie Worte findet. "Das Aufwachen mit dem Verlust der Sprache und der rechten Körperfunktionen war grausam. Es zog mir den Boden unten den Füßen weg." Arbeiten kann sie nicht mehr.
Erich Caspari (63, Traben-Trarbach) erwischte es vor sechs Jahren im Büro: "Mir fiel der Kugelschreiber aus der Hand. Einfach so. Ich dachte: Da ist wohl ein Nerv eingeklemmt." Der Kaufmann schlief nachts vorm Fernseher ein, als er zum WC wollte, kam er nicht mehr hoch. Diagnose: Schlaganfall. "Das erste halbe Jahr saß ich im Rollstuhl. Mit der Sprache hatte ich weniger Probleme." Seine rechte Körperhälfte will auch nicht mehr.
Hans-Josef Schwaab (58, Erden) hatten die Ärzte bereits aufgegeben: Er musste sich vor acht Jahren sieben Operationen an einem Aneurysma unterziehen. Folge: zwei Monate Koma. "Ja und Nein - mehr konnte ich nicht sagen." Die Sprachfunktionen sind bei dem Mann mit den großen leuchtenden Augen immer noch stark eingeschränkt. Er war 30 Jahre Winzer und bekommt nun alle drei Monate Botox in den Muskel des rechten Armes gespritzt - das mache seine Hand beweglicher.
Karin Kappes (58, Monzelfeld) hatte Mitte 2009 leichtes Kopfweh nach dem Nachtdienst als Krankenschwester. "Ich legte mich hin. Nachmittags wollte ich mit meinem Mann ein Teilchen essen, bekam es nicht mehr an den Mund." Mit dem Notarzt ging es ins Krankenhaus. Diagnose: Loch im Herzen. Sie hatte "Glück": "Nach sechs Wochen Reha konnte ich wieder arbeiten." Heute sei sie aber nicht mehr so belastbar. Sie sagt: "Das Problem beim Schlaganfall ist: Es tut nicht weh."
Der schwere Weg zurück ins Leben ist geprägt von Ergotherapien, Physiotherapien, Sprachunterricht, unzählbaren Arztbesuchen und Unannehmlichkeiten mit den Kassen. "All das bestimmt unseren Alltag, und den kann man gemeinsam am besten bewältigen", sagen die Betroffenen. Was ihnen wichtig ist: "Wir erleben in der Gruppe, dass geteiltes Leid wirklich halbes Leid ist und dass es andere gibt, die ein ähnliches Schicksal bewältigen müssen." jo
Extra

Die Selbsthilfegruppe Aphasie und Schlaganfall trifft sich jeden ersten Mittwoch um 15 Uhr in der Klinik Burg Landshut. Ansprechpartner: Karin Schneider, 06534/9496029, E-Mail: karin-schneider@t-online.de; Karin Kappes: 06531/94243; Erich Caspari: 06541/9893 oder Martina Schwaab 06532 / 2354. Hier kann man sich austauschen, es gibt Ausflüge, Feiern, Fachvorträge und Tipps für den Alltag. Ein Schlaganfall ist eine plötzlich auftretende Funktionsstörung des Gehirns. Hier wird die Blutversorgung bestimmter Gehirnbereiche vermindert oder vollständig unterbrochen. 200 000 Menschen erleiden in Deutschland jährlich einen Schlaganfall, jeder vierte Patient stirbt innerhalb eines Jahres. Er ist die dritthäufigste Todesursache, weltweit rangiert sie auf Platz zwei. Typische Symptome sind plötzliches Auftreten von Körperausfällen wie Lähmungen, Gehprobleme, Seh- oder Sprachstörungen. Wird der Patient innerhalb von drei Stunden medizinisch behandelt, werden die Heilungschancen verbessert. Aphasie bedeutet, dass man schlagartig die Fähigkeit verliert, zu sprechen, zu schreiben und zu lesen. Eine Aphasie tritt nach einer Schädigung der linken Hirnhälfte auf, wie sie etwa bei einem Schlaganfall ausgelöst wird. jo

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