Wie Urnen unsere Friedhofskultur verändern

Bernkastel-Wittlich · Friedhöfe werden auch im Kreis immer häufiger nicht nur zum Totengedenken, sondern auch als Erholungsort genutzt. Auch die vielen Urnenbestattungen zeigen, dass sich Menschen stärker vom Gedanken an den Tod distanzieren.

 Ganz ohne Blumen geht es selbst an den Urnen-Reihengräbern auf dem Wittlicher Friedhof in der Burgstraße nicht. TV-Foto: Ursula Quickert

Ganz ohne Blumen geht es selbst an den Urnen-Reihengräbern auf dem Wittlicher Friedhof in der Burgstraße nicht. TV-Foto: Ursula Quickert

Bernkastel-Wittlich. Es gibt Ehen, die sind auf dem Friedhof angebandelt worden. Schließlich ist er auch ein Treffpunkt und ein Raum für Kunst. "Hier stellt sich die Gesellschaft dar. Ein Friedhof ist auch immer ein Ausdruck für die Menschen, die diese Stadt formen", sagt der Wittlicher Steinmetz Sebastian Langner.
Oder einfach gesagt: Wie wir die Toten betten, sagt auch viel über uns selbst aus.
Und aktuell ist eben der Traum von der ewigen Jugend das Leitbild. Die Menschen schätzen das Alter nicht mehr so hoch wie früher, und so verdrängen sie auch stärker den Gedanken an den Tod. Die vielen Urnengräber sind eine Folge dessen: praktischer und distanziert.
Im Kreis Bernkastel-Wittlich gab es 2010 417 Urnen- und 388 Erdbestattungen - die Verbandsgemeinde Bernkastel-Kues ausgeschlossen, weil dort die Daten nicht separat erfasst werden. 2011 waren es 436 Urnen- und 313 Erdbestattungen. In Wittlich wurden fast doppelt so viele Menschen in einer Urne bestattet als im Sarg. Am stärksten war die Zunahme in den Verbandsgemeinden Manderscheid und Thalfang. Dort ist die Zahl der Urnenbestattungen innerhalb eines Jahres um 50 Prozent gestiegen. Sobald die erste Urne auf dem Dorffriedhof begraben sei, folgten meist viele, erklärt Guido Eis aus Wittlich, Obermeister der Bestatterinnung Trier.
Aus Sicht Langners ist die Bevorzugung der Urne eine Modeerscheinung. Und jeder Trend löst auch immer eine Gegenbewegung aus. Je spartanischer also auf der einen Seite die Ausstattung der Gräber wird, desto mehr setzen andere auf Individualität. Grabsteine, in die Häuser, ein Maar oder Bücher als Motiv geschlagen sind, finden sich beispielsweise als Miniatur in Langners Werkstatt. Oft muss es da an die Grenzen dessen gehen, was laut Friedhofsvorschrift erlaubt ist.
An den Ritualen der Bestattung halten aber die meisten Menschen fest, sagt Eis. Weil es immer weniger Pastöre gibt und viele Verwandte aus der Ferne anreisen müssen, ergibt sich allerdings schnell Termindruck. Da wird eine Beerdigung schon mal so weit nach hinten geschoben, bis der Tag allen passt - was bei Urnenbestattungen ja möglich ist.
Sowohl Eis als auch Langner beobachten, dass die Menschen einen Platz zum Trauern brauchen. Viele kämen nicht damit klar, wenn die Asche des Toten beispielsweise in Frankreich oder Luxemburg verstreut worden ist. "Manchmal bekommen sie Monate später psychische Probleme wegen der nicht bewältigten Trauerarbeit", sagt Eis. Ähnlich könne es bei einer Urnenbestattung sein, da sie dabei von dem toten Körper auch nicht Abschied nehmen können. Dass Hinterbliebene selbst Urnenwände mit Blümchen zieren, verdeutliche die Bedeutung dieses Orts.
Gleichzeitig wird dieser Kulturraum immer mehr zum Naherholungsgebiet, gerade in Städten. Auch in Wittlich hat Langner schon so manchen beobachtet, der auf dem Friedhof Burgstraße seine Mittagspause verbringt. Die Nutzung ändert sich also: vom samstäglichen Blumengießen und Kerzeaufstellen zum Flanieren und Entspannen.

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