Arzt - Partner der Patienten

TRIER. Möglichkeiten und Grenzen des medizinischen Fortschritts standen im Mittelpunkt eines Dies academicus im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Die Referenten bezogen Stellung zu den gesundheitspolitischen und ethischen Aspekten des Themas.

Nicht alles, was medizinisch machbar ist, ist auch ethischwünschenswert. Das ist keine neue Erkenntnis, doch rückt deranhaltende Kostendruck im Gesundheitswesen dasSpannungsverhältnis zwischen Möglichkeiten und Grenzen desmedizinischen Fortschritts immer stärker ins Blickfeld. Drohen etwa hierzulande Verhältnisse wie in Großbritannien, wo bestimmte medizinische Leistungen wie die Dialyse älteren Menschen vorenthalten werden? Oder muss sich Deutschland langsam, aber sicher vom Solidarprinzip in der Krankenversicherung verabschieden? "Weder noch", erklärt Gerald Gaß vom Mainzer Gesundheitsministerium. Zum einen sei das britische Beispiel in Deutschland nicht vermittelbar, zum anderen lasse sich das Solidarprinzip grundsätzlich bewahren. Voraussetzung dafür seien allerdings einschneidende Maßnahmen und die Einsicht, dass "auch die Solidarität ihre Grenzen hat".

"Priorisierung statt Rationierung"

Gaß ist davon überzeugt, dass die Gründe für die Finanzkrise im Gesundheitswesen nicht in der Breite der Leistungskataloge zu suchen sind, sondern in deren Anwendung. So würden bestimmte Leistungen viel zu weit eingesetzt. "Wir müssen kostenaufwändige Maßnahmen wieder auf die wirklich notwendigen Fälle beschränken", fordert Gaß. Der gesundheitspolitische Auftrag müsse denn auch "Priorisierung statt Rationie-rung" lauten.

So sei beispielsweise der Zuwachs bei Linksherzkatheter-Untersuchungen mehr als bedenklich: Waren hierzulande vor 20 Jahren noch weniger als 30 000 Untersuchungen dieser Art vorgenommen worden, so stieg diese Zahl inzwischen auf mehr als 600 000. Um den Druck von den Kassen zu nehmen, schlägt Gaß zudem vor, sozialpolitische Leistungen wie Mutterschutz und Sterbegeld künftig über Steuern zu finanzieren. Doch nicht nur auf der Kostenseite müssten Einschnitte erfolgen. Gaß hält eine Verbesserung der Einnahmenseite für ebenso dringend geboten. Allerdings müsse eine Erhöhung der Beiträge vermieden werden, da der Faktor Arbeit schon jetzt zu sehr belastet werde.

Stattdessen schlägt Gaß vor, andere Einkommensarten wie Kapitalerträge künftig zur Finanzierung der Krankenversicherung heranzuziehen sowie eine zweckgebundene Abgabe auf Tabak und Alkohol einzuführen. "Das würde von den Menschen sicherlich eher akzeptiert als ein Eintrittsgeld beim Arzt", ist er überzeugt.

Konflikt mit dem Selbstverständnis

Dass der ökonomische Druck auch zu einem ethischen Problem werden kann, weiß Professor Hansjörg Just aus eigener Anschauung. Da ein Arzt seine Patienten "ohne Ansehen der Person" behandeln müsse, gerate er aufgrund von Maßnahmen wie Budgetierung naturgemäß in einen Konflikt mit seinem Selbstverständnis.

"Das ärztliche Urteil ist nicht mehr wirklich frei", folgert der Vorsitzende des "Zentrums Ethik und Recht in der Medizin" an der Freiburger Universitätsklinik. Die Distanz zwischen Arzt und Patienten werde - technisch, juristisch und ökonomisch bedingt - immer größer, kritisiert Just.

Dabei habe sich gleichwohl ein Paradigmenwechsel weg vom patriarchalischen hin zu einem mehr partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Verhältnis vollzogen. Kranke Menschen seien heute weitaus besser informiert. "Ohne Kenntnis der eigenen Erkrankung wird eine Therapie nicht erfolgreich sein", ist Just überzeugt. Deshalb sollten alle Mediziner ihre Patienten bestmöglich informieren und deren "wirkliches Einverständnis" für therapeutische Maßnahmen einholen. "Schon aus ökonomischen Gründen müssen wir die Partnerschaft mit dem Patienten kultivieren", sagte Just. Nun braucht die Pflege einer Partner-schaft Zeit, doch die bleibt vielen Ärzten oft nicht.

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