Der verrückte Weg

TRIER. (mew) Musicals sind meist seichte Massenware. Im Falle des Programms "La Pazzia oder die Anatomie der verrückten Gefühle" ist dies anders, was einerseits am ausgesuchten Material andererseits an den Akteuren liegt. Ein hochwertiger und amüsanter Mix aus Kantaten, Instrumentalstücken und Opernsequenzen lockte in die Tuchfabrik.

Es beginnt harmlos: am linken Bühnenrand Cembalo und Violincello, im rechten Vordergrund ein Lauten ähnliches Instrument namens Chitarrone, im Zentrum ein männlicher Sopran und ein weibliches Mezzo-Pendant. Doch es gibt Brüche: Kamera, Leinwand, Video-Beamer und ein großer Karteikasten passen nicht so recht ins sonst eher klassische Ambiente. Aber genau diese Kontraste erzeugen spannende Effekte. So werden die Sänger zu Schriftstellern ihrer eigenen Untertitel und erleichtern mit ihren Übersetzungen das Verständnis der (alt)italienischen Passagen. Sinnvoll, folgt die Handlung doch einem eher dünnen roten Faden. Immer dreht es sich um Gefühle, die mit Wahnsinn oder Verrücktheit zu tun haben. Das Repertoire reicht vom römischen Konsul Publicola, der vor Kummer um seine tote Frau den Weg in die Unterwelt antreten möchte und im Wahnsinn endet, bis zur vor Eifersucht rasenden Medea. In farbenfrohen Kostümen kommen sie manchmal wie antike Ampelmännchen daher, die mit nicht nachvollziehbaren Aktionen ihren persönlichen Wahnsinn demonstrieren. Die Spielfreude von Ralf Peter und Claudia Kemmerer wird durch ihre mehr als souveräne gesangliche Leistung potenziert. Der instrumentale Klangteppich von Gerlind Puchinger (Chitarrone), Lutz Gillmann (Cembalo) und Johannes Loescher (Violoncello) komplettiert dieses anspruchsvolle Arrangement von Wahnwitzig-Musikalischem. Historische Versatzstücke kommen über die Videoprojektion äußerst modern daher. In der griechischen Variante schreibt Aenas an seine Geliebte: "Unglückliche Dido, leider muss ich dich verlassen, um heute Rom (stilisiert als kleines Kasperletheater) zu gründen, ich liebe dich." Heutzutage wären es wohl eher Konzern und Post-it-Zettel am Kühlschrank statt Metropole und Brief.Schmunzeln und Beifall

Die folgenden Fotomontagen setzen das Bauchmuskeltraining fort und karikieren sowohl antike wie auch aktuelle narzisstische Neigungen. Was so harmlos begann, stürzt sich bereits nach wenigen Minuten mit erfrischender Spielfreude ins Groteske und entlockt dem gut gefüllten großen Saal sowohl Schmunzeln als auch Beifall. Der Name des Köln-Saarbrücker-Ensembles ist Programm: "pazzaCaglia", der verrückte Weg - eine äußerst unterhaltsame Angelegenheit mit hohem künstlerischen Anspruch.

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