Die Inspirations-Quelle sprudelt weiter

TRIER/KENN. Seit zehn Jahren jeden Monat ein neues Gedicht: Der Lyrik-Kasten am Domfreihof ist längst zu einer Institution geworden – und Initiatorin Marie Winkel (56) sprüht weiterhin vor Begeisterung und Inspiration.

"Maler können ihre Bilder ausstellen und Bildhauer ihre Skulpturen. Das will ich auch mit meinen Gedichten tun", dachte sich Marie Winkel im Herbst 1995. Einen geeigneten Ausstellungsort mit viel Publikumsverkehr musste sie nicht lange suchen. Das Haus Sternstraße 1, das genau zwischen Dom und Hauptmarkt gelegene so genannte "Bilderhaus", befindet sich in Familienbesitz. Dort brachte Marie Winkel einen Wirtshauskasten an. Statt einer Speisen- oder Getränkekarte präsentiert sie darin Naturgedichte. Das in Deutschland einzigartige Projekt kommt auch in seinem zehnten Jahr gut an. Passanten, die einen Blick in den Kasten riskieren, entdecken ein jahreszeitlich passendes Naturgedicht aus der Feder der in Kenn lebenden Lyrikerin. Eingefleischte Fans kommen regelmäßig. Denn Marie Winkel wechselt monatlich das Programm. Gedichte wie "Misteln im März", "Windbaum" oder aktuell der "Zauberspruch" sind eine Leidenschaft der 56-jährigen examinierten Germanistin. Illustration aus eigener Hand

"Jedes ist aus unmittelbarem Erleben der Natur entstanden, aufgeblüht wie ein Krokus aus der Märzwiese, geboren aus der Erde, der Luft, der Witterung, der Landschaft. Die allermeisten haben ihre Wurzel in Eifel, Hunsrück und dem engeren Trierer Umland", berichtet sie. Ein zweites Lieblingssujet von Marie Winkel kennen TV-Leser aus den 80er-Jahren: 70 Tierrätsel veröffentlichte sie in der "Wochenend-Post", der Vorgängerin des heutigen "Wochenend-Journals". Marie Winkel geht mit der Zeit. Ihre Naturgedichte finden sich in mittlerweile drei Sammelbändchen (im Trierer Buchhandel erhältlich) und nebst Tierrätseln im Internet ( www.lyrikkasten.de und www.naturgedichte.de). Neben der "Kopfarbeiterin" ist künftig auch die "Handarbeiterin" Marie Winkel gefordert. Sebastian (28), der jüngere der beiden Söhne des Ehepaars Winkel, hat sich aus dem Lyrik-Kasten-Projekt verabschiedet. "Neun Jahre lang hat er für mich die Gedichte per Computer illustriert. Seit Januar arbeitet er in Kaliforniern. Nun muss ich die grafische Gestaltung und farbige Illustrierung selbst übernehmen", sagt die Mutter und fügt lachend hinzu: "Ich hoffe, die Leser nehmen es mir nicht übel, dass ich gestalterisch bei weitem nicht so talentiert bin wie mein Filius." Aber in erster Linie geht es ja um den Inhalt. Und da hat Marie Winkel keine Inspirations-Probleme: "Die Natur steckt voller Wunder und Überraschungen." Stoffmangel im Lyrik-Kasten ist nicht zu befürchten.

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