KOLUMNE

Alles fing eigentlich ganz harmlos an: "Darf sie das schon?", fragte die Verkäuferin im Supermarkt und streckte uns einen kleinen Schokoladen-Weihnachtsmann über die Theke. Mit einem verzückten Krähen riss unsere Tochter das wehrlose Männlein an sich und ließ es, ungeachtet seines Aluminium-Gewandes, bis zum Hals in ihrem Mund verschwinden.

In jenem Moment hatte unsere Tochter zwei Dinge begriffen: Alles, was rotes Aluminium trägt, ist potenzielle Beute. Und: Unter der Metallschicht verbirgt sich in der Regel eine braune, klebrige, essbare Masse. Vielleicht hätten meine Frau und ich das Schlimmste verhindern können, wenn wir sofort entschiedene Gegenmaßnahmen ergriffen hätten. Doch wir waren wohl zu naiv, und so nahm das Verhängnis seinen Lauf. Sein Name: Advent. Schon wenige Tage nach der ersten Weihnachtsmann-Begegnung trafen mehrere Päckchen von Großeltern und anderen Verwandten ein, deren Inhalt im Wesentlichen aus jener umhüllten Masse bestand, die unsere Tochter keineswegs vergessen hatte. Es war Nikolaus. Auch in der Kinderkrippe staubte sie einen cremig-zarten Herrn mit roter Mütze ab, der sofort ihren Lieblingsbären von seinem Stammplatz neben dem Kopfkissen vertrieb. Abends lud dann der Ortsweihnachtsmann zur Bescherung in die Dorfkneipe. Unser Sprössling, obwohl zum Umfallen müde, schleppte weit nach Schlafenszeit triumphierend eine kindshohe Tüte Nasch- und Backwerk in sein Zimmer. Die Bilanz der darauf folgenden Woche: zwei Adventskalender, vier Schokoladen-Tannenzapfen aus dem Kaufhaus, fünf Tankstellen-Weihnachtsmänner - auch "Pendlerglück" genannt - und eine "kleine" Aufmerksamkeit der Vermieterin in Form eines aus allen Nähten platzenden Jute-Beutels. Meine Frau und ich begannen, regelmäßige Rotwein-Abende einzulegen, um in den solchermaßen frei werdenden Flaschen-Regalen Weihnachtsmänner einzulagern. Unsere Tochter ist mittlerweile nur noch mit zwei Mozartkugeln zum Aufstehen zu bewegen und isst Fischstäbchen mit Kartoffelbrei - einst ihr Leibgericht - nicht ohne eine ordentliche Schicht Schokoladenstreusel Sehnsüchtig warten wir auf den 26. Dezember und damit auf das Ende der Schokoladenzeit. Für die Wochen danach haben wir bereits einen detaillierten Vorrats-abbauplan entwickelt, der bis zum 16. April reicht. Dann ist Ostersonntag. Peter Hacker In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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