Dem Pfälzer fehlt Römerblut

Im Friedrich-Schiller-Jahr 2005 dreht sich vieles um den berühmten Dichter. Viele schreiben und reden über ihn. Dort hier kommt er nun erstmals seit seinem Tod selbst zu Wort – und jede Antwort ist ein authentischer Dichterspruch.

Im Friedrich-Schiller-Jahr 2005 dreht sich vieles um den berühmten Dichter. Viele schreiben und reden über ihn. Dort hier kommt er nun erstmals seit seinem Tod selbst zu Wort – und jede Antwort ist ein authentischer Dichterspruch. Herr Schiller, jetzt sind Sie schon 200 Jahre tot und immer noch lebendig. Hätten Sie je damit gerechnet? Schiller: Das Leben ist nur ein Moment, der Tod ist auch nur einer. Und beide gehen vorbei. Doch der dichterische Geist ist unsterblich und unverlierbar in der Menschheit. Wohl wahr. Die Nachwelt sieht Sie gern als vergeistigten Schriftsteller, ganz Kopfmensch, dabei waren Sie doch, zumindest nach der Entlassung aus der Karlsschule 1780, ein ziemlicher Hallodri. Man erzählt sich von Trinken, Spielen, Schulden, Wirtshaus und Bordell. Schiller: Wo in aller Welt bringst du das Maul her, Junge? Erlauben Sie mal! Immerhin schreiben Sie selbst von einer, ich zitiere, "fortgesetzten Kette von Spannung und Ermattung, Opiumschlummer und Champagnerrausch". Schiller: Ein allgemeines, unstetes und schwankendes Gerede... Auch zwischenmenschlich waren Sie ja recht aktiv. Erst ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau, dann mit zwei Frauen gleichzeitig, Charlotte von Kalb, Caroline von Beulwitz. Von einer möglichen Grauzone ganz zu schweigen... Schiller: Eben mit diesem Trieb steht das Dichtungsvermögen in der engsten Verwandtschaft. Und ein Augenblick, gelebt im Paradiese, wird nicht zu teuer mit dem Tod gebüßt. Nun wollen wir mal nicht übertreiben; zum Tod hat‘s ja nicht gerade geführt. Aber immerhin würde Ihnen eine solche Ménage à trois heutzutage fettere Schlagzeilen bescheren als jeder Theaterskandal. Schiller: War es immer wie jetzt? Ich kann das Geschlecht nicht begreifen. Nur das Alter ist jung, ach! Und die Jugend ist alt. Kein Grund zur Sentimentalität. Mal unter uns: Wie sieht denn Ihre Traumfrau aus? Schiller: Das Mädel ist schön, schlank, führt einen netten Fuß. Unterm Dach mag‘s aussehen, wie‘s will. Darüber guckt man bei Weibsleuten weg, wenn‘s der liebe Gott Parterre nicht hat fehlen lassen. Das wundert uns nun aber echt bei einem Schöngeist wie Ihnen. Da hätte man doch mehr Delikatesse als Derbheit vermutet. Schiller: Weh dem Manne, den weibliches Erröten mutig macht. Ich bin verzagt, wenn Weiber vor mir zittern. Sie sind ja ursprünglich ausgebildeter Mediziner. Warum haben Sie sich der Literatur zugewandt? Schiller: Um in der Brust meines Lesers ein fröhliches Gefühl seiner selbst zu erwecken. Und wie kommen Sie auf Ihre Ideen? Schiller: Mein Gehirn treibt öfters wunderbare Blasen auf, die schnell, wie sie entstanden sind, zerspringen. Einiges ist ja nicht zersprungen, sondern bis heute erhalten geblieben. Wie genau nehmen Sie es bei Ihren Werken eigentlich mit den Tatsachen? Schiller: Die Geschichte ist überhaupt nur ein Magazin für meine Fantasie, und die Gegenstände müssen sich gefallen lassen, was sie unter meinen Händen werden. Und dann kommen die Regisseure... Schiller: ...und kein Gott hat Erbarmen! Jedes Theater kann mit den Schauspielen anfangen, was es will, der Autor muss sich‘s gefallen lassen. Abgesehen davon: Wie beurteilen Sie denn die Situation der Theater heute? Schiller: O die Natur, die zeigt auf unsern Bühnen sich wieder, splitternackend, dass man jegliche Rippe ihr zählt. Würden Sie heute auch noch als Dramatiker arbeiten wollen? Schiller: Die Genügsamkeit des Publikums ist nur ermunternd für die Mittelmäßigkeit, aber beschimpfend und abschreckend für das Genie. Wäre denn der Film eher etwas für Sie – das Medium unseres modernen Jahrhunderts? Schiller: Die lächerliche Wut der Neuerung, die nur der Ketten Last, die sie nicht ganz zerbrechen kann, vergrößert, wird mein Blut nie erhitzen. Ihre ersten Erfolge hatten Sie ja in der Pfalz mit den Uraufführungen der "Räuber" und des "Fiesco" in Mannheim... Schiller: Den Fiesco verstand das Publikum nicht. Republikanische Freiheit ist hier zu Lande ein Schall ohne Bedeutung, ein leerer Name – in den Adern der Pfälzer fließt kein römisches Blut. Herr Schiller, Sie sind als Zeitgenosse des Übergangs vom absolutistischen ins bürgerliche Zeitalter und der Französischen Revolution ein ausgesprochen politischer Dramatiker. Wie finden Sie, der Fürsten und Könige gewohnt ist... Schiller: Ich wollte als Weltbürger schreiben, der keinem Fürsten dient... Schon klar, aber was halten Sie von unserem ganz und gar unadligen Bundeskanzler? Schiller: Ich hab‘ hier bloß ein Amt und keine Meinung. Doch anders, begreif’ ich wohl, als sonst in Menschenköpfen, malt sich in diesem Kopf die Welt. Na ja, um seine Mehrheit ist‘s zur Zeit ja wirklich nicht gut bestellt. Schiller: Mehrheit? Was ist die Mehrheit? Verstand ist stets bei wen‘gen nur gewesen. Sie waren einer der ersten Autoren, der einen wesentlichen Teil seiner Einkünfte als freier Autor zu bestreiten versuchte und somit gezwungen war, sich im kommerziellen Literaturbetrieb zu behaupten... Schiller: Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Moment mal, das ist aber nicht von Ihnen... Schiller: Dieser Mensch, dieser Goethe, ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so oft, dass das Schicksal mich hart behandelt hat. Wie leicht war sein Genie vom Schicksal getragen, und wie muss ich bis auf diese Minute noch kämpfen! Jetzt wollen wir aber mal nicht selbstmitleidig werden. Schließlich können Sie sich beide doch nicht über mangelnde Popularität und Nachruhm beklagen. War er nicht sogar Ihr Freund? Schiller: Öfters um Goethe zu sein, würde mich unglücklich machen: Er hat auch gegen seine nächsten Freunde kein Moment der Ergießung, er ist an nichts zu fassen; ich glaube in der Tat, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade. Wie dem auch sei: Die Nachwelt findet Sie beide ganz okay. Schiller: Nun streitet sich das Publikum seit Jahren, wer größer sei: Goethe oder ich, und sie sollten sich freuen, dass überhaupt ein paar Kerle da sind, worüber sie streiten können. Die Fragen stellte unser Redakteur Rainer Nolden

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