Verbal-Granaten, quadratische Kreise und Monokel

Zum Artikel "Ein Bundeswehr-Oberst als Kriegsverbrecher? (TV vom 7./8. November):

Bei Kenntnis des Sachverhalts ist schon die Headline "Ein Bundeswehr-Oberst als Kriegsverbrecher?" eine Zumutung. Und diese Zumutung wird durch die Verwendung des Fragezeichens nicht abgemildert. Denn im Endeffekt enthält diese Zeile genau das, was Dieter Lintz in seinem Kommentar auf der gleichen Seite als unerträglich bezeichnet: eine weitere Vorverurteilung. Ist es eigentlich wirklich nicht möglich, über einen solch ernsten und tragischen Sachverhalt leidenschaftslos und unaufgeregt zu berichten, ohne reißerische Verbal-Granaten zu verschießen? Und die Forderung von Dieter Lintz, "den folgenreichen Luftangriff von Kundus juristisch klar, offen und transparent" aufzuarbeiten, gleicht dem Gebot, einen Kreis quadratisch zu zeichnen.

Damit der "männerbündlerischen Solidarität" mannhaft der Kampf angesagt wird, werden jetzt die Herren Bundesanwälte in den Einsatz gehen. Ich sehe sie schon vor mir, wie sie sich mit strategisch-gefassten Mienen, in ihren roten Roben gewandet, vielleicht ein Monokel ins rechte Auge geklemmt, im Berliner Schutzbunker über die Generalstabskarten beugen, um etwaigen Kriegsverbrechen deutscher Soldaten am Hindukusch auf die Schliche zu kommen. Selbst wenn sich die Rotröcke auf den gefahrvollen Weg nach Afghanistan machen sollten, um juristischen Sachverstands Zeugen der Tat einzuvernehmen - zwei Monate nach einem solchen Ereignis sind eine zu lange Zeit, um noch objektive Ergebnisse zu erwarten. Schon das bekannte Interesse afghanischer Familien, für einen verlorenen Angehörigen finanziell entschädigt zu werden, wird die Zahl der Opfer des Luftangriffs phänomenal anschwellen lassen.

Vielleicht wäre es tatsächlich am klügsten, juristisch geschulte Ermittler Schulter an Schulter mit den kämpfenden Soldaten an den jeweiligen Einsätzen zu beteiligen. Unsere großen Verbündeten jenseits des Teichs kennen einen trefflichen Begriff dafür: embedded.

Insgesamt zeigt das ausgebrochene Gezänk um den Luftangriff, dass die Politik zwar von ihrem Primat über Teilnahme unserer Soldaten an Kampfeinsätzen überall in der Welt zwischenzeitlich routiniert Gebrauch macht, dabei nicht einmal bereit ist, über Begriffe wie Krieg und Kampf nachzudenken, sondern sich immer noch und neuerdings mit "kriegsähnlich" herauszureden sucht. Soldaten, die von anderen bewaffnet angegriffen werden und sich unter Gefahr für Leben und Gesundheit zur Wehr setzen, befinden sich in einem Krieg.

Wolf-Rüdiger Wulf, Trier

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