Ein Tag zum Lachen und zum Weinen

BERLIN. Nach der Niederlage des Kanzlers bei der Vertrauensabstimmung liegt der Schlüssel zur Neuwahl im September jetzt bei Bundespräsident Horst Köhler. Unmittelbar nach dem von ihm gewünschten Scheitern im Parlament bat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am Freitag das Staatsoberhaupt um die Auflösung des Bundestags.

Auf dem Weg zu ihrem Mann durch die Menschenmengen in der Reichstagslobby trifft Doris Schröder-Köpf Bundesfamilienministerin Renate Schmidt. Gerhard Schröder hat gerade wie gewollt die Vertrauensabstimmung deutlich verloren, nur seine staatsmännische Rede und dann die Verkündung des Ergebnisses durch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat die Kanzlergattin von der Tribüne aus verfolgt. Mehr wollte sie sich nicht antun. "Es ist ein ganz komischer Tag", sagt die stämmige und mütterliche Schmidt, während sie die kleine, zierliche Schröder-Köpf kräftig an ihre Brust drückt. "Ja", antwortet die Ehefrau des Kanzlers unsicher lächelnd. "Ich weiß auch nicht."Die einen sind sauer, die anderen kämpferisch

Ein komischer Tag. Wenngleich ein historischer. Das wechselhafte Wetter passt. Viele Abgeordnete werden von Heerscharen an Journalisten nach ihrer Stimmung gefragt. Und gerade die, die sonst nie um eine Antwort verlegen sind, geraten auf einmal ins Stocken. Die rot-grünen Parlamentarier wissen eben nicht, ob sie lachen oder weinen sollen; manch einer ist sauer auf den Kanzler und enttäuscht, andere wiederum sind auf einmal kämpferisch. Die Gemütslagen unter der Reichstagskuppel drehen und wenden sich wie ein Wetterhahn auf einer Kirchturmsspitze. "Jetzt ist es vorbei", grummelt die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, später bei einem Saft-Empfang ihrer Fraktion - auf Sekt hat man lieber verzichtet. Viele Sätze fallen. Aber dieser einfache und schnörkellose, von Roth im langen roten Gewand gesprochen, trifft wie kein anderer. Aus und vorbei. Seinen Abgang inszeniert Gerhard Schröder als eiserner und vor allem eisiger Kanzler. Er sitzt wie in Stein gemeißelt auf seinem Stuhl und lauscht der hitzigen, mittäglichen Debatte fast ohne Regung. Mit päpstlich gefalteten Händen. Otto Schily, der Innenminister sucht öfter über Außenminister Joschka Fischer hinweg den Kontakt zum Niedersachsen. Schröder reagiert nicht. Er bleibt starr und stur, so wie es sich gehört bei diesem dramatischen Akt für die Geschichtsbücher. "Union hatte 16 Jahre Zeit und keinen Mut"

Gerhard Schröder macht es allen nicht leicht, sieht man mal von der Opposition ab. Auch nicht mit seiner guten Rede, in der er versucht, seine Vertrauensfrage verfassungsrechtlich wasserdicht zu gestalten. Von fehlendem "stetigen Vertrauen" spricht er in Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983; von Abweichlern, die die Regierungsmehrheit gefährdeten, von heftigen Debatten über den künftigen Kurs, vom "hohen Preis", den "meine Partei" durch die "mutige" Agenda 2010 gezahlt habe. "Union und FDP hatten 16 Jahre Zeit, aber niemals den Mut", attackiert Gerhard Schröder die Opposition - die Genossen jubeln. Endlich. Ein erster Akt der Befreiung. Zum Schluss trifft der Kanzler dann auch noch mit leiser Stimme und viel Pathos den Nerv der eigenen Leute, die dennoch eher pflichtbewusst aufspringen und dem Agenda-Erfinder danken. Der Applaus klingt dadurch wie ein wehmütiges Adieu. Bei den Grünen rührt sich hingegen keine Hand. Sie haben die Neuwahlen nicht gewollt. Und ab jetzt kämpft ohnehin jeder für sich. "Der Wahlkampf beginnt um zwölf Uhr", meint ein Genosse vor Beginn der Bundestagssitzung, also mit dem Vorliegen des Ergebnisses der Vertrauensfrage. Das erweist sich als falsch. Nur Gerhard Schröder steigt tief und präzise in die Hintergründe und Grundlagen seiner Vertrauensfrage ein, die der grüne Abgeordnete Werner Schulz später in einer persönlichen Erklärung "als unecht und fingiert, als Tiefpunkt demokratische Kultur" bezeichnet. Ein deftiges Eigentor schießt der fahrig wirkende SPD-Fraktionschef Franz Müntefering, der mit einem Satz die ganze Rede seines Kanzlers konterkariert: Seine Fraktion sei sich einig, dass Schröder "dass Vertrauen der SPD-Bundestagsfraktion hat und das wir ihn weiter als Bundeskanzler haben wollen". Aber auch Angela Merkel, die Kanzlerkandidatin von CDU und CSU, hat keinen guten Tag erwischt. Sie wirkt überaus nervös, verzettelt sich in vielen Worthülsen, und als sie auch noch von einer Koalition mit der "SPD, äh FDP", spricht, verpufft ihre komplette Rede. Nur einer trumpft wirklich auf: Außenminister Joschka Fischer. Er redet sich in Rage und befreit die rot-grünen Abgeordneten aus ihrer Trance, in der sie wegen der politischen Zwangslage bis dato dahin dämmerten. Stehende Ovationen erntet er von den Sozialdemokraten und von den Grünen; selbst der Kanzler schmunzelt bei Attacken wie dieser gegen Angela Merkel: "Gegenwärtig kommen Sie mir mit den Umfragen vor wie ein wunderbar anzuschauendes Soufflé im Ofen. Wir werden mal sehen, in den letzten drei Wochen, wenn da reingepickst wird, was von der Größe noch übrig bleibt."

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