Nach der Reform ist vor der Reform

TRIER. Alles wird anders. Es muss. Jedenfalls im Gesundheitssystem. Da waren sich die Politiker beim TV-Wahlforum zum Thema Gesundheit einig. An der Frage, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll, schieden sich allerdings die Geister. Die mit diskutierenden TV-Leser erlebten einen spannenden, aufschlussreichen Nachmittag.

Harmonisch verlief es nicht gerade, das TV-Wahlforum zum Thema Gesundheit. Lebhaft ging es zu - und bisweilen auch etwas lauter. Die Bundestagskandidaten Marcus Heintel (SPD), Bernhard Kaster (CDU) und Corinna Rüffer (Grüne) mussten teils heftige Vorwürfe der beiden TV-Leser Walter Michels und Barbara Theis über sich ergehen lassen.Von Kostensenkungen für die Versicherten sei nach der Gesundheitsreform wenig zu spüren, sagte Walter Michels. Der viele Jahre im Bundesgesundheitsministerium beschäftigte Gerolsteiner klagt, wenn die Beiträge überhaupt gesenkt würden, werde der Effekt durch Zusatzkosten etwa für Zahnersatz aufgefressen. Außerdem kritisierte Michels: "Ich habe den Eindruck, dass die Bürokratie und der Verwaltungsaufwand größer geworden sind. Bei vielen Dingen muss man nachhaken." Ihm selbst mache das wenig aus, sagt er. "Aber wieviele Leute können das nicht!"

Barbara Theis, Gattin eines niedergelassenen Facharztes aus Saarburg, ging noch heftiger mit den Politikern ins Gericht: Sie kreidete ihnen zahlreiche Probleme im Praxisalltag an - dass die Patienten schlecht informiert seien, zum Beispiel. Dass sie das Gefühl hätten, alles selbst zahlen zu müssen und dafür den Arzt verantwortlich machten. Und dass die Kassen selbst erforderliche Leistungen manchmal nicht zahlten. "Die Patienten kommen in die Praxis, weil sie Hilfe brauchen", stellt Theis klar, "nicht aus Jux und Dollerei!"

SPD-Mann Heintel verteidigte die Gesundheitsreform. "Die Kosten sind gesenkt, die Grundlagen für niedrigere Beiträge geschaffen worden." Im übrigen wirke eine Reform langfristig, es sei zu früh, ihren Effekt zu beurteilen.

Auch Walter Bockemühl, der als Chef der AOK Rheinland-Pfalz die Rolle des unabhängigen Experten in der von TV-Redakteur Bernd Wientjes geleiteten Diskussion übernommen hatte, wollte die negative Bewertung der Reform durch die TV-Leser so nicht stehen lassen. Das Problem sei nicht ein fehlender Spar-Effekt, sondern dass die Einnahmen der Kassen als Folge der hohen Arbeitslosenzahlen stark gesunken seien.

In einem Punkt waren sich alle drei Politiker einig: Eine weitere, tiefer greifende Gesundheitsreform muss her, ein Systemwechsel. Wie dieser auszusehen hat - darüber gingen die Meinungen allerdings auseinander: Corinna Rüffer warb für die Bürgerversicherung, ein Konzept, für das die Grünen seit Jahren streiten: Alle Bürger sollen in diese Versicherung einzahlen, auch die bislang privat Versicherten. Entscheidend sei, Gutverdienende mit einzubeziehen. "Es darf nicht sein, dass die Privaten sich die Rosinen rauspicken und die Gesetzlichen die Problemfälle bekommen." Zwar könne es weiter Private und Gesetzliche Versicherungen nebeneinander geben, aber sie müssten unter den gleichen Bedingungen wirtschaften, forderte Rüffer und konstatierte eine gestiegene Zustimmung zu diesem Modell: "Die SPD haben wir inzwischen mit im Boot."

Eine Aussage, die Marcus Heintel bestätigte: Auch er sprach sich für die Bürgerversicherung aus, von der sich ihre Befürworter eine Senkung der Lohnnebenkosten versprechen. Bei der Berechnung der individuellen Beiträge sollen nämlich nicht nur die Löhne, sondern auch andere Einkünfte herangezogen werden - beispielsweise aus Kapitalanlagen oder Immobilienbesitz.

Die Antwort der Union auf die Probleme im Gesundheitssystem ist eine andere. Bernhard Kaster plädierte für die "solidarische Gesundheitsprämie". Dieses Konzept sieht vor, dass alle gesetzlich Versicherten eine einheitliche Prämie aufbringen, die "Kopf-Pauschale". "Der Bankdirektor zahlt das gleiche wie der Busfahrer", sagte Kaster. Geringverdiener und Kinder werden aus Steuermitteln versichert. Wichtiger Bestandteil: Die Entkopplung des Kassenbeitrags von den Lohnkosten, indem der Arbeitgeberanteil festgeschrieben wird.

"Abwarten und Tee trinken"

Welches Konzept ist besser? Experte Bockemühl verwies zunächst darauf, dass beide Modelle geeignet seien, die Lohnnebenkosten zu senken. Allerdings bedeuteten beide einen Zuwachs an Bürokratie. Wenn alle Bürger in eine Kasse einzahlten, verbesserte sich die Kostenstruktur, pflichtete Bockemühl Corinna Rüffer bei. "Beim Prämienmodell ist der Versicherte auf die Haushaltslage des Bundes angewiesen. Ich fürchte, dass die Gesundheitskosten entweder die Schulden in die Höhe treiben oder die Leistungen reduziert werden." Sein Fazit: "Durch Beiträge erworbene Ansprüche sind bei der Bürgerversicherung sicherer." Vehement forderte der AOK-Chef mehr Spielraum für die Kassen - etwa für Vereinbarungen mit Krankenhäusern.

Krankenhäuser - ein weiteres Stichwort. Man müsse Synergie-Effekte besser nutzen, forderten alle drei Politiker. Kaster merkte an, bisher habe man nur unter Kosten-Aspekten diskutiert, doch das greife zu kurz. "Auch in einer Region wie unserer müssen Krankenhäuser aufrecht erhalten werden." Synergie-Effekte zu nutzen bedeute nicht automatisch die Schließung von Kliniken, sagte Bockemühl. Man müsse überlegen, auch innerhalb von Kliniken den ambulanten Bereich zulasten des stationären auszubauen.

Wird sich nach der Bundestagswahl in Sachen Gesundheitswesen etwas ändern? Ja, sagten die Politiker unisono. Dafür waren in diesem Punkt die TV-Leser unterschiedlicher Meinung. Für Barbara Theis stand fest: "Natürlich nicht!" Walter Michels dagegen sagte: "Das klingt alles sehr gut. Aber ich weiß, dass die Umsetzung nicht so einfach ist." Seine Devise: "Abwarten und Tee trinken."

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