Plaque im Hirn

Demenz ist eine heimtückische Erkrankung, weil sie meist schleichend daherkommt. Oft wird man erst nach Jahren darauf aufmerksam. Nach den Ursachen wird zunehmend intensiver geforscht. Inzwischen gibt es plausible Erklärungen für das Zustandekommen, aber noch keine Medikamente.

Trier. Als kürzlich zum Welt-Alzheimertag im Mutterhaus die 100 Jahre alte Krankenakte der ersten "offiziellen" Demenz-Patientin Auguste Deter verlesen wurde, hätte Christa Ludwig heulen können. "Die sind ja heute noch keinen Deut weiter als damals", dachte sich die Ehefrau eines an Alzheimer erkrankten Patienten.

Tatsächlich ist jahrzehntelang wenig passiert in der Demenz-Forschung. Erst die Veränderung der Alters-Pyramide und die damit steigende Zahl der Krankheitsfälle haben in den vergangenen Jahren zu einer immer intensiveren wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Thematik geführt.

Die wesentlichen Erkenntnisse fußen dabei nach wie vor auf den Beobachtungen von Dr. Alois Alzheimer, der Anfang des 20. Jahrhunderts Eiweißrückstände in den Gehirnen verstorbener Demenz-Kranker entdeckt hatte. Sie wuchern wie eine Art "Plaque" um Nervenzellen und machen sie kommunikationsunfähig. "Die Telefonleitung zwischen den Zellen funktioniert nicht mehr": Auf diese anschauliche Formel bringt es Professor Bernd Krönig vom Demenzzentrum für die Region Trier. Und weil die Verknüpfung zwischen den Zellen von elementarer Bedeutung für Denk-Prozesse ist, werden wichtige Teile des Gehirns zunehmend lahmgelegt. Feststellen kann man das per Kernspintomographie oder Nervenwasserpunktion - aber nur bedingt.

Prinzipiell entstehen solche Eiweiß-Ablagerungen bei jedem Menschen. Deshalb sind Demenz-Erscheinungen im hohen Alter durchaus normal. Aber krankhafte Prozesse können dazu führen, dass die Produktion des an dieser Stelle schädlichen Eiweißes erheblich beschleunigt wird. Vererbung spielt dabei übrigens eine vergleichsweise geringe Rolle: Auf zwei bis drei Prozent schätzt Professor Krönig den Anteil. Vorschädigung durch Bluthochdruck und Diabetes kann sich sehr negativ auswirken, im Gegenzug glaubt Krönig an den "Vorsorgefaktor Sport" und den Nutzen einer gesundheitsbewussten Ernährung. Aber Sicherheit bietet das nicht.

Die Vorlaufzeit der Krankheit ist oft lang. Innerhalb von zehn bis 20 Jahren könne das Gehirn bis zu einem Drittel seiner Verbindungen verlieren, ohne dass man es als Krankheit empfinde, sagt Krönig. Im zweiten Stadium führe die Krankheit dann zu "alltagsrelevanten Defiziten" wie Orientierungsproblemen, Gedächtnislücken, Verlust von Fähigkeiten, die man im täglichen Leben braucht. Im dritten Stadium geht dann "fast gar nichts mehr", verliert der Kranke die Sprache, leidet oft an Wahnvorstellungen, erkennt niemanden mehr und ist selbst zu einfachsten Verrichtungen nicht mehr in der Lage.

Diagnose Demenz nicht immer Grund zur Panik



Dennoch sei die Diagnose Demenz nicht zwangsläufig ein Grund zur Panik, glaubt der Münchener Demenz-Experte Professor Hans Förstl. Der dementielle Prozess könne auch "langsam und undramatisch verlaufen". Vor allem die klassische Alters-Demenz erlaube oft eine längerfristige Erhaltung der Lebensqualität.

Für Früh-Erkrankte sieht es weniger gut aus. Sie bräuchten dringend wirksame Medikamente. Was es bisher gibt, sind Entwicklungshemmer, die den geistigen Verfall mal mehr, mal weniger bremsen. Pharmaka, die die schädliche Eiweißproduktion nachhaltig stoppen, scheitern bislang an ihren Nebenwirkungen. "An anderer Stelle im Körper wird das gleiche Eiweiß gebraucht, eine Eliminierung hat fatale Folgen", erläutert Professor Krönig.

So bleibt es oft bei einer Medikation mit Antidementiva und Antidepressiva. Denn rund ein Drittel der Demenz-Patienten entwickelt Depressionen. Vor allem die, die ihre Erkrankung noch bei vollem Bewusstsein realisieren. Nicht nur in diesen Fällen misst die Medizin der persönlichen Zuwendung und dem Erhalten gewohnter Lebensumstände entscheidende Bedeutung zu. Gewohnte Gesichter, gewohnte Tapeten, gewohnte Haustür, gewohnte Wege: Sie können Demenzkranken ein Stück Lebensqualität bewahren. Und Einrichtungen wie das Demenzzentrum, die Modellprojekte oder Bekos vor Ort haben dabei eine wichtige Unterstützungs-Funktion..

Morgen in unserer Serie: Mit Gehirnjogging gegen Demenz - Was man tun kann.

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