1932 nach Wittlich gerufen, 1937 verjagt

Wittlich · Nach einer erfolgreichen Schulgründung durch die Ursulinen in Wittlich beginnen in der Nazi-Zeit die Schikanen. Schließlich muss der Orden die Mädchenschule ohne würdigen Abschied räumen: eine Erinnerung.

Wittlich. Ein Thema beherrschte Anfang der 1930er Jahre die Wittlicher Stadtpolitik: Welche weiterführenden Schulen braucht die Stadt für ihre Jugend? Weder die 1861 gegründete Höhere Stadtschule für Jungen noch die 1904 eingerichtete Höhere Töchterschule und auch nicht die Aufbauschule von 1922 im Gebäude des ehemaligen Lehrerseminars ("Roter Kasten") entsprachen den Vorstellungen von Eltern und Stadtpolitikern. Vor allem für Mädchen war die Situation unbefriedigend, da sie in Wittlich kein Abitur ablegen konnten.
Als es dem damaligen Bürgermeister Rudolf Neuenhofer gelingt, die Schulschwestern der Ursulinen vom Calvarienberg Ahrweiler zur Übernahme der Mädchenschule zu bewegen, verbinden alle damit die Hoffnung auf eine Vollanstalt (Lyzeum). Der Schulfrieden ist einstweilen wieder hergestellt.
Der Mitte März 1932 mit den Schulschwestern geschlossene Vertrag bot der Stadt zahlreiche Vorteile, nicht zuletzt auch finanziell: Die Schwestern beanspruchten nur 60 Prozent des Gehalts von staatlichen Lehrkräften. An der Renovierung der Klassenräume im Musseleck´schen Haus in der Kurfürstenstraße wirkten die zehn Nonnen tatkräftig mit. Bei der Eröffnungsfeier am 18. April 1932 sagte Neuenhofer: "Nehmen Sie, ehrwürdige Schwestern, diese Schule in Ihre Hände zur Betreuung. Wir geben Ihnen das Beste, was uns verblieben ist, unseren Nachwuchs, unsere Kinder. Nehmen Sie sie in Ihre Obhut und Sorge! "
Salbungsvolle Worte, die fünf Jahre später den neuen Herren im Rathaus nichts mehr bedeuteten. Die erfolgreiche Arbeit der Schwestern schlägt sich vor allem in der Verdoppelung der Schülerzahlen innerhalb von zwei Jahren nieder. Ende 1934 besuchen 96 Mädchen die Anstalt, Tendenz steigend, so dass ein Ausbau zum Lyzeum eine realistische Perspektive darstellte.
Das sollte sich mit der Schulreform 1936/37 grundlegend ändern. So gerieten nicht zuletzt Schulen in kirchlicher Trägerschaft massiv unter Druck, da die künftige "Deutsche Schule" eine koedukative Gemeinschaftsschule sein sollte. Anfang April 1936 findet eine Besprechung zur Umsetzung der NS-Schulreform statt, zu der die Schulleiterin, Schwester Patricia Bock, erst gar nicht eingeladen wird.
In diesem schlechten Stil sollte es weitergehen. Während sich die Stadt finanziell stark für die im Oktober 1937 eingeweihte Forstschule engagiert hatte, werden die Zuwendungen für die Ursulinenschule stetig gekürzt. Weitere Schikanen: Verbot für die Schule, als geschlossene Gruppe an der Fronleichnamsprozession teilzunehmen, und eine Anordnung, die Untersekunda (Klasse 10) sofort einzustellen. Anfang April 1937 teilt NSDAP-Bürgermeister Dr. Hürter den Schwestern mit, der bis Ostern 1938 geschlossene Vertrag zwischen Stadt und Orden sei "gegenstandslos" geworden, die Ursulinen müssten sofort die bislang genutzten Räume in der Cusanus-Schule räumen.
Wegen dieses glatten Vertragsbruchs schreibt Schulleiterin Patricia dem Stadtchef einen Brief, in dem sie den Juristen nicht nur an "Gerechtigkeit und Billigkeit" und "Vertragstreue" erinnert, sondern auch die Verdienste der Ursulinen um die Mädchenbildung in Wittlich hervorhebt.
Eine Antwort erhält sie nicht. Auch der von den Nonnen eingeschaltete junge Rechtsanwalt Dr. Johannes Schmitz wird in barscher Form mit dem Hinweis auf angeblich "höhere Gewalt" abgefertigt. Der Trierer Regierungspräsident entzieht den Wittlicher Ursulinen zum 10. April 1937 die Erlaubnis zur Fortführung der Schule und besiegelt damit die erste Schulschließung des Ordens im Rheinland. Eine Elterninitiative unter Leitung der Gräfin Maria von Kageneck verfasste eine "Denkschrift", die von zwei Eltern und Schwester Patricia in Berlin Reichserziehungsminister Rust übergeben wird.
Währenddessen gehen die Einschüchterungen und Drohungen gegen die Mitglieder der Elterninitiative in Wittlich durch Regierungsbeamte und lokale NS-Funktionäre weiter. Den Eltern wird strikt untersagt, noch weitere Versammlungen abzuhalten, da dadurch die "Autorität der Partei und damit des Staates gefährdet" werde. Insbesondere auf die Beamten, deren Töchter die Schule besuchen, übt der NSDAP-Kreisleiter Fritz Loosen massiven Druck aus, ihre Kinder der Cusanus-Schule (jetzt: "Deutsche Oberschule") zuzuführen. In großer Eile, tatkräftig unterstützt von ehemaligen Schülerinnen und Eltern, räumen dann die Schwestern Klassenräume und Hauskapelle und kehren nach Ahrweiler in das Mutterhaus auf den Calvarienberg zurück.
Schwester Patricia gründet wenige Monate später mit einer Mitschwester in Kettering (England) eine neue Schule, die sie bis 1952 leitet. Ab 1953 ist sie nochmals Schulleiterin der zweiten Wittlicher Ursulinenschule im ehemaligen Kyffhäuser Waisenhaus. Wegen fehlender Lehrkräfte aus dem Orden muss diese Anstalt im März 1955 schließen. Schwester Patricia, die in Münster Deutsch, Französisch und Philosophie studiert hatte, kümmert sich noch Jahre um die Studienschwestern des Ordens in Ahrweiler und betreut eine Gastarbeiterfamilie. Am 26. Juni 1974 stirbt sie im Alter von 85 Jahren.

Der frühere Wittlicher Bürgermeister Matthias J. Mehs schrieb damals an die Ordensleitung: "Sie hat sich in Unterricht und Erziehung unvergessliche Verdienste hier in Wittlich erworben, so dass wir ihr ewig tiefen Dank schulden."

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