Das erste Mal …. Schokolade im Mund

Ein Leben ohne Schokolade? Heute für viele undenkbar, doch noch vor wenigen Jahrzehnten völlig normal - umso eindrucksvoller war für viele Eifeler der erste Kontakt mit der süßen Leckerei. Volksfreund-Mitarbeiter Alois Mayer schildert im aktuellen Teil der TV-Serie "Eifeler Premieren" seine Erfahrung.

Daun. Ich weiß, Schokolade gab es schon lange, für viele bereits ewig. Aber nicht für mich. Während heute bereits zahnlose Säuglinge an ihren ersten Schokoladenprodukten schlecken, war ich bereits sieben Jahre alt, als ich den ersten Kontakt zu jener schwarzen, süßen Masse bekam.

Es war 1949. Noch lagen viele Ortschaften in Trümmern, Wiesen und Felder waren übersät von Bombentrichtern, in denen sich trüb schlammiges Wasser gesammelt hatte, und in den meisten Häusern regierte Schmalhans Küchenkoch. Das Geld war knapp. Man musste weiterhin verzichten. Das hatte man ja die letzten Jahre bereits zur Perfektion gelernt.

Der Beginn der Schulspeisung



Vater ging in freien Stunden in Wäldern Bucheckern auflesen, um diese gegen etwas Speiseöl oder - wenn er Glück hatte - gegen eine Scheibe Speck einzutauschen. Und wir Kinder rannten über Felder, sammelten übriggebliebene Ähren und Kartoffeln oder auch nur Kartoffelkäfer. Das erstere zum Essen, das letztere zum Verbrennen. Und dann hieß es auf einmal des morgens während des Unterrichts: "Bringt morgen einen Teller und einen Löffel mit. Es gibt Schulspeisung!"

Noch konnte ich mir nichts darunter vorstellen. So harrte ich dann anderentags mit einem Blechteller und einem Löffel ausgestattet, der auf seiner Rückseite noch ein kleines Hakenkreuz trug und so bewies, dass er dereinst im Besitz eines Soldaten war. Und dann, als der Lehrer die große Pause eröffnete, kamen zwei Frauen in unsere Klasse. Sie trugen einen großen Topf, aus dem nicht nur Dampf emporstieg, sondern auch ein Duft, den ich nicht kannte, aber der mir dennoch Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Und dann schöpften die beiden Frauen in meinen Blechteller eine heiße Milchsuppe mit dicken weichen, krummen Nudeln. Ein Genuss! Ein herrlich sattmachendes Wohlgefühl.

"Dreimal in der Woche bekommt ihr nun eine Schulspeisung. Es sind Lebensmittel aus Amerika. Fromme Leute, die man Quäker nennt, haben sie für die hungernden Kinder im Nachkriegsdeutschland zur Verfügung gestellt", erklärte der Lehrer. Ich wusste damals nicht, wer "Quäker" sind, aber ich bin ihnen bis heute dankbar.

Und dann erhielt noch jedes Kind ein kleines, in Silberpapier eingepacktes und mit bunter Schrift versehenes Täfelchen ausgehändigt. "Das ist Schokolade", wurde erklärt. Und als ich vorsichtig die Verpackung löste, lag vor mir die erste Schokolade meines Lebens. Vier kleine Rippen bildeten ein kohlrabenschwarzes Quadrat. Glänzend die Oberfläche, einen Duft ausströmend, der so fremd und doch so einladend war.

Geschmack war einmalig



Vorsichtig brach ich eine Rippe ab und führte sie zum Mund. Dieses damalige Erlebnis, wie das anfangs harte und kalte Schokoladenstück im Mund immer wärmer und weicher wurde, wie es eine fremdartige Geschmacksmischung zwischen bitter und süß entwickelte, die mich unwillkürlich die Augen schließen ließ, wie die geschmolzene Masse langsam den Weg über sämtliche Geschmacksnerven hinunter zum Magen nahm... Dieses Gefühl stellte sich bis heute jedoch nie mehr ein, obwohl ich ein froher Konsument aller Schokoladensorten bin.

Das Geschmackserlebnis ließ auch beim zweiten Rippchen nicht nach. Und dieses Gefühl, das in seiner Feierlichkeit der weihnachtlichen Festfreude in nichts nachließ, wollte ich auch meiner Mutter gönnen. So packte ich die restlichen zwei Stückchen wieder in das knisternde Papier und steckte sie in meine Hosentasche.

Sofort nach Schulende rannte ich nach Hause, berichtete von der nudeligen Milchsuppe und dem erstmaligen Ereignis, Schokolade genießen zu dürfen. Und Mutter sollte teilhaben an meiner Freude. Ich hatte ihr ja etwas mitgebracht. Stolz griff ich in meine Hosentasche - und zog die Hand rasch mit entsetzt aufgerissenen Augen wieder heraus. Denn ich hatte in schwarzbraune, klebrige Soße gegriffen, die nicht nur meine Hände beschmiert, sondern auch meine Hose versaut hatte.

Woher sollte ich denn wissen, dass sich Schokolade in meiner Hosentasche in weichen Matsch verwandelt? Es dauerte eine Zeit, bis Mutter, meine Tränen abwischend, mich trösten konnte. "Wir werden noch mehr Schokolade bekommen", sagte sie.

Und sie behielt recht. Aber dieses ganz besondere Gefühl stellte sich nie mehr ein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort