"Inklusion nicht um jeden Preis"

Prüm · Mit dem Schulanfang vorgestern hat auch in Rheinland-Pfalz eine neue Ära begonnen: Eltern von Kindern mit Förderbedarf haben nun freie Wahl zwischen Förder- und Schwerpunktschulen. In Prüm sieht man sich dafür gut gerüstet.

Prüm. Behinderte und nicht behinderte Kinder sollen gemeinsam zur Schule gehen. In Prüm bieten die Bertrada-Grundschule seit 2006 und die Kaiser-Lothar-Realschule Plus seit 2008 integrativen Unterricht an. Von diesem Schuljahr an herrscht für die Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf erstmals Wahlfreiheit: Sie entscheiden, ob ihr Kind eine Förderschule - in Prüm ist dies die Astrid-Lindgren-Schule - oder eine weiterführende, integrative Schule besucht.
"Das neue Schulgesetz sieht vor, dass alle Kinder mit Lernbehinderung den integrativen Weg gehen. Der nächste Schritt nach der Grundschule ist automatisch die weiterführende Schwerpunktschule - in unserem Falle die Kaiser-Lothar-Realschule plus", sagt Arnold Gierten, Rektor der Bertrada-Grundschule. Dort werde in einem Gutachten festgestellt, welchen Förderbedarf ein jedes Kind benötige.
In Einzelgesprächen zwischen der Schulleitung und den Eltern geht es darum, den fürs Kind sinnvollsten Schritt zu gehen - denn nicht alle sind auf der weiterführenden Schwerpunktschule, an der die Möglichkeiten zur individuellen Betreuung geringer sind als die einer Fördereinrichtung, gut aufgehoben.
Die Eltern bestimmen


"Doch der Wunsch der Eltern ist ausschlaggebend", sagt Regierungsschuldirektorin Alexandra Forster von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Trier. Ein späterer Wechsel von der Realschule plus an die Astrid-Lindgren-Förderschule sei damit aber nicht ausgeschlossen, erklärt Forster. "Das geht sogar ganz unbürokratisch, falls es sich herausstellt, dass es dem Kind an der weiterführenden Schule nicht gut geht."
Prüm ist seit Jahren auf die neue Situation eingestellt, da sowohl die beiden integrativen als auch die Förderschule eng zusammenarbeiten. "Die Eltern werden mit ihrer Entscheidung keineswegs alleine gelassen", sagt Arnold Gierten. "Bereits im Vorfeld sind wir beratend tätig."
Ja zur Inklusion - aber nicht um jeden Preis, das sei die Maßgabe, nach der gehandelt werde. Im neuen Schuljahr werden zwei Kinder von der Grundschule an die Förderschule wechseln, zehn Schüler mit Lernbehinderung besuchen die Kaiser-Lothar-Realschule. Dort konnte die Stelle einer pädagogischen Fachkraft nun in Vollzeit besetzt werden. "Damit stehen uns für die Kinder mehr Stunden zur Verfügung", sagt die Förderschullehrerin Christina Thielen. "Mehr Zeit und damit mehr Sonderpädagogen wären wünschenswert."
Mehr Lehrer gefordert


Insgesamt nehmen nun 23 Schüler mit Förderbedarf am Unterricht der Realschule plus teil. "Wir brauchen unbedingt mehr Förderschullehrer in Regelschulen", sagt Guido Kirsch, Leiter der Astrid-Lindgren-Schule. "Dazu kommt, dass die weiterführenden Schwerpunktschulen relativ barrierefrei gestaltet sind, doch es fehlt an Pflege- und Ruheräumen."
Er wisse, wie schwer es den kommunalen Schulträgern falle, finanzielle Mittel dafür aufzubringen, sagt Kirsch weiter. "Und das betrifft auch die Übernahme der Kosten für die nötigen Integrationshelfer." Doch die Inklusion sei in erster Linie eine Frage des Willens und des Herzens. "Es muss nicht alles sofort perfekt sein."
Seine Schule biete Hilfe und Beratung in allen Fragen der Inklusion - darüber hinaus wird in Erwägung gezogen, ein Förder- und Beratungszentrum an der Astrid-Lindgren-Schule einzurichten, um zukünftige Probleme besser in den Griff zu bekommen.
Extra

Aktuell gibt es in Rheinland-Pfalz 150 Schwerpunktschulen im Grundschulbereich und 112 weiterführende Schulen. Dort werden, mit zusätzlich bereitgestellter förderpädagogischer Unterstützung, Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet. Auf diese Weise sowie durch Einzelintegrationsmaßnahmen in anderen Regelschulen konnten im vergangenen Schuljahr rund 4900 Kinder und Jugendliche inklusiv unterrichtet werden. Das war rund ein Viertel aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. now

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