Ein Haus, viele Schicksale: Ausstellung zum jüdischen Leben in Bitburg

Bitburg · Der Arbeitskreis Gedenken präsentiert derzeit Bilder und Dokumente über das jüdische Leben in Bitburg – in den Schaufenstern des ehemaligen Bekleidungshauses Juda. Dort wurden einst ganze Generationen von Eifelern eingekleidet. Wir werfen einen Blick auf die Geschichte des Hauses und der Familie.

 Ein Haus im Wandel der Zeit: Jüdische Demonstranten protestieren während des Reagan-Besuches 1985 vor dem ehemaligen Kaufhaus Juda. Im Hintergrund am Fenster zu sehen ist die Familie Petry, die den Laden übernommen hatte.

Ein Haus im Wandel der Zeit: Jüdische Demonstranten protestieren während des Reagan-Besuches 1985 vor dem ehemaligen Kaufhaus Juda. Im Hintergrund am Fenster zu sehen ist die Familie Petry, die den Laden übernommen hatte.

Foto: Stephan Garçon
Das ehemalige Kaufhaus Juda steht heute leer.

Das ehemalige Kaufhaus Juda steht heute leer.

Foto: Stephan Garçon

Das Geschäft an der Ecke Saarstraße und Mötscher Straße steht heute leer. Aber dass es früher einmal das berühmte Bitburger Bekleidungshaus war, sieht man in diesen Tagen sofort: Denn einige der Fotos und Dokumente, die der Arbeitskreis Gedenken als besondere Ausstellung zurzeit in den Schaufenstern zeigt, sind liebevoll an alten Kleiderbügeln - Marke Juda - angebracht. "Eine Idee meines Bruders Christoph", erzählt Werner Pies, Mitglied im Arbeitskreis. Lange suchen mussten sie auch gar nicht: Viele Bitburger hatten die Bügel noch im Schrank, erzählt Pies, "und fingen sofort an zu schwärmen".

Aktiv für die Aussöhnung

Welche Bedeutung der Name Juda in Bitburg hat, war bei der Ausstellungseröffnung zu spüren: Mehr als 130 Menschen waren im November gekommen, als Sohn Henri Juda in dem Haus, das "schon bessere Tage gesehen" habe, über das Schicksal seiner Familie sprach. Die besseren Tage: Das waren jene zu der Zeit, als Karl Juda das Geschäft in Bitburg eröffnete und es über Jahrzehnte gemeinsam mit seiner Frau Johanna führte. Man habe das Glück gehabt, Kunden gewinnen zu können, sagt Henri Juda. Im Laufe der Zeit wurde aus dem Haus eine Institution, viele ließen sich dort einkleiden. "Ich gehörte auch dazu", sagt Werner Pies. Er habe dort zum Beispiel seinen Hochzeitsanzug gekauft.

Karl Juda hatte das Haus im Jahr 1950 erworben. Da lag die schlimme Zeit des Holocausts zwar hinter der Familie, vergessen wurde sie jedoch nie. Aber seine Eltern "setzten sich aktiv für die Aussöhnung mit dem neuen Deutschland ein". Heute will Henri Juda die Erinnerung an den Völkermord bewahren. Für seinen Vater habe das Geschäft in Bitburg eine "neue Lebensgrundlage" bedeutet, sagt er. Erbaut worden ist es bereits in den Jahren 1924 und 1925. Bevor Karl Juda es in ein Bekleidungsgeschäft verwandelte, war es eine Mercedes-Werststatt: "Die Brüder Johann und Matthias Conrady gründeten das Autohaus und erhielten die Erlaubnis, für Mercedes zu arbeiten", sagt Pies. Doch mit der großen Zerstörung Bitburgs zu Weihnachten 1944 wurde das Gebäude stark beschädigt. Bis 1947 hatten es die Brüder wieder aufgebaut, und die Werkstatt bestand noch für drei weitere Jahre - dann wurde es den Conradys dort zu eng, und sie verkauften an Karl Juda.

Der hatte vier Jahre zuvor, 1946, Johanna kennengelernt, und sie 1947 in Luxemburg geheiratet. Im gleichen Jahr kam auch Henri Juda zur Welt, das Paar bekam später noch eine Tochter. Obwohl die Familie das Bekleidungsgeschäft in Bitburg betrieb, lebte sie weiterhin in Echternach. Henri Juda: "Ich erinnere mich noch gut an die langen 25 Kilometer, die meine Eltern täglich durch die zerstörten und bitterarmen Dörfer der Eifel fuhren." Er sei "ein netter und zurückhaltender Mann" gewesen, sagt Pies über Karl Juda. "Das war wohl auch der Grund, weshalb die Menschen gerne zu ihm gingen." Aber er habe auch einen guten Stab an Mitarbeitern gehabt - darunter Karl Petry, den er 1960 erst zum Geschäftsführer machte, um ihm dann 1979 den Laden ganz zu übergeben - denn da zog sich Karl Juda aus dem Geschäft zurück. Er starb 1990 im Alter von 80 Jahren. Das Bekleidungshaus bestand noch eine Weile unter Petry, sein Sohn aber siedelte später in die Innenstadt um, woraufhin sich ein Matrazengeschäft darin niederließ. Heute steht es leer.

Als Henri Juda, ebenfalls Mitglied im Arbeitskreis Gedenken, der Runde das Haus für die Ausstellung anbot, "konnte keiner mehr Nein sagen", erzählt Pies. Noch bis Februar soll die Ausstellung in den Schaufenstern zu sehen sein. Pies würde gerne auch eine Finissage machen, verrät er - und dabei "besonders auf das jüdische Leben in anderen Orten in der Eifel eingehen". Bis dahin, hofft der Arbeitskreis, dass Fußgänger einfach einen Moment stehen bleiben - und sich erinnern: an das traurige Schicksal vieler Juden zur Nazi-Zeit in der Eifel, aber auch an die besondere Geschichte der Familie Juda in Bitburg.

Extra

Klara Juda, Henri Judas Großmutter, wurde im Alter von 54 Jahren in Ausschwitz ermordet. Der in Bitburg geborene Großvater, Heinrich Juda, war 1914 für sein deutsches Vaterland in den Krieg gezogen und 1921 an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben. Karl Juda, 1910 in Bitburg geboren, war 1936 mit seiner Mutter nach Luxemburg ausgewandert. Er bewirtschaftete einen Bauernhof in Befort. 1940 begannen die Diskriminierungen, Karl Juda aber weigerte sich, den Judenstern zu tragen, und hing ihn seinem Deutschen Schäferhund um den Hals. Das brachte ihm das Arbeitslager ein: Dort sollte er zum Bau der Autobahn Wittlich zwangsverpflichtet werden. 1941 flüchtete er in die Schweiz: Er schwamm durch den Rhein über die Grenze, wurde zurückgeschickt und konnte, nur mit einer Unterhose bekleidet, abermals flüchten, weil er Uniform und Fahrrad eines Offiziers stahl. Damit schaffte er es zurück nach Luxemburg, wo er versteckt wurde und so Krieg und Nazi-Herrschaft überlebte. Er starb mit 80 Jahren in Echternach.

Johanna Juda, 1914 geboren, kam im April 1943 nach Auschwitz. In Block 10 musste sie mit Hundert anderen Frauen Menschenversuche an sich ergehen lassen. Als Stationsschreiberin manipulierte sie die Krankenliste, um Leben zu retten. Ihr eigenes Leben aber verdankte sie der aus Trier stammenden Widerstandskämpferin Orli Wald, die sie vor weiterer Folter bewahrte. Im Januar 1945 schickte man Johanna auf einen der Todesmärsche. Im Konzentrationslager Ravensbrück wurde sie von russischen Soldaten befreit. Sie starb 2001 mit 87 Jahren. Ihre Mutter, Franziska Salomon, war im Vernichtungslager Belzec zu Tode gekommen.

Henri Juda, Spross der Bitburger Kaufmannsfamilie, ist Gründer der Gruppe MemoShoah (zu Deutsch: Gegen das Vergessen) in Luxemburg. Ein Projekt: das Schaffen einer Begegnungs- und Gedenkstätte im Kloster Fünfbrunnen, das von den Nationalsozialisten in ein Internierungslager für Juden umgewandelt wurde. Henri Juda ist verheiratet, hat zwei Töchter und ist vierfacher Großvater. Und das, sagt er, sei seine beste Rache an Hitler.

Extra

Der Arbeitskreis Gedenken ist 2013 auf Beschluss des Stadtrats gegründet worden. Anfangs setzte er sich aus je einem Mitglied der im Stadtrat vertretenen Fraktionen unter Vorsitz des Bürgermeisters zusammen. Dazu kamen Stadtarchivar Peter Neu, Kreisheimatmuseum-Leiter Burkhard Kaufmann, Ehrenvorsitzender der Kulturgemeinschaft Werner Pies, Bernd Quirin vom Geschichtlichen Arbeitskreis der Kulturgemeinschaft, Henri Juda von MemoShoah Luxembourg und Peter Wagner aus Irrel. Ziel ist es, schwerpunktmäßig die Geschichte der jüdischen Mitbürger in Bitburg und Umgebung während des "Dritten Reichs" zu dokumentieren. eib
Info: www.bitburg-gedenkt.de

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