Keine Angst vor tropfenden Eisblöcken

Trier · Engagierte Musiker und aufgeschlossene Besucher erleben beim "Opening 17" drei Tage lang die Vielfalt zeitgenössischer Klangkunst.

Keine Angst vor tropfenden Eisblöcken
Foto: (g_kultur
Keine Angst vor tropfenden Eisblöcken
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 Beim Opening-Festival erzeugen die Künstler Klang und Rhythmus nicht nur auf herkömmlichen Instrumenten wie Klarinettist Richard Haynes (Foto links oben). Die Performance von Komponist Gerhard Stäbler (rechts) und Klaus Maßems Bild der Spazierstöcke lassen das erahnen. TV-Fotos (3): Eva-Maria Reuther

Beim Opening-Festival erzeugen die Künstler Klang und Rhythmus nicht nur auf herkömmlichen Instrumenten wie Klarinettist Richard Haynes (Foto links oben). Die Performance von Komponist Gerhard Stäbler (rechts) und Klaus Maßems Bild der Spazierstöcke lassen das erahnen. TV-Fotos (3): Eva-Maria Reuther

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Trier Die Zeit tropft aus den schmelzenden Eisblöcken in die Metallschale unten am Boden. Als wäre sie ein gotischer Dom strebt Truike van der Poels wunderbare Stimme zum Himmel. Später wird sie sich gegen das bedrohliche, aufgeregte Schlagzeug wehren müssen.
Irgendwo zersplittert klirrend Glas in der Stille der Aula des Angela-Merici-Gymnasiums in Trier. Die Rede ist von Gerhard Stäblers eindringlicher Komposition "Il Muro", aufgeführt bei Opening 17. Ungewohnte Klangtexturen und neue Tonsprachen standen auch in diesem Jahr im Mittelpunkt des Trierer Festivals für Aktuelle Klangkunst. Zum 17. Mal wurde das Festival von der Stadt Trier in Zusammenarbeit mit der Tufa veranstaltet.
Der Name ist Programm. "Opening" stehe für Offenheit und kulturellen Austausch, unterstrich Jürgen Hardeck bei der Eröffnung. Der Chef des rheinland-pfälzischen Kultursommers war in Vertretung des Schirmherrn Kulturstaatssekretär Salvatore Barbaro in die Tufa gekommen. "Coming together" hieß es zum Auftakt, den das JugendEnsembleNeue Musik Rheinland-Pfalz/Saar hochengagiert und spielfreudig gestaltete. Dabei bewiesen die jungen Nachwuchsmusiker mit einem eindrucksvollen Konzert, dessen Programm von Purcell über John Gage bis Frederic Rzewski reichte, dass sie gleichermaßen in der Tradition wie in der zeitgenössischen Klangkunst zu Hause sind.
Überhaupt: den berüchtigten "Silbersee" (Überalterung des Publikums, der Alptraum aller Konzertveranstalter) brauchen die Veranstalter von Opening nicht zu fürchten. Quer durch die Generationen fand sich ein aufmerksames und aufgeschlossenes Publikum bei freier Platzwahl zu den Konzerten (meist in der Tufa) zusammen.
"Ich bin mit dem Besuch sehr zufrieden", freute sich Bernd Bleffert, einer der künstlerischen Leiter, und meinte das nicht nur zahlenmäßig. Seit jeher gehört es zum Anliegen des Festivals, musikalische Wirkungsgeschichte und Entwicklungen sichtbar zu machen. Naturgemäß durfte da einmal mehr Karlheinz Stockhausen nicht fehlen, der große Schrittmacher zeitgenössischer Musik. Geradezu Kathedralklang erzeugte das Weimarer Ensemble für Intuitive Musik mit dessen Komposition "Für kommende Zeiten" in den Viehmarktthermen. Zum Ausklang des ersten Tages schließlich: Nachtmusik mit kulturellem Brückenschlag.
Das Duo Aleksandra und Alexander Grychtolik spielte auf historischen Cembalos Johann Sebastian Bachs "Goldberg Variationen" plus zugehöriger "Vierzehn Canons". Den spröden Instrumenten quasi maßgeschneidert waren die Uraufführungen der nachdenklichen Stücke der Koreanerin Hui Yeon und des Japaners Yuji Itoh. Freude als vielfarbiges Klangereignis war angesagt bei Stockhausens gleichnamiger Komposition für zwei Harfen, einem der Höhepunkte des Festivals. Die beiden chinesischen Harfinistinnen Chu-Heng Liao und Wei-Ching Tseng machten auf ihren herrlichen Instrumenten feinsinnig und nuancenreich das Psychogramm der Freude als inneren Klang hörbar.
Die enge Verbindung zwischen Bild und Klang vermittelt nicht allein die zum Festival gehörende Ausstellung OpenEXpo mit Werken von Bernd Bleffert und Klaus Maßen. Still und mit sparsamsten Mitteln schuf der Koreaner Kunsu Shim in seiner Performance "Mutter-Vater" hochpoetische Bilder aus Klang, Gestik und Farbe. Ganz anders Richard Haynes, der zur Nacht mit Körper, Stimme und wechselnden Instrumenten bis an die Schmerzgrenze veräußerte, was Menschsein, Leiden und Tod bedeutet. Zuvor hatte das Berliner Ensemble "work in progress" neue japanische Musik vorgestellt. Ein ausgesprochen spannendes Festival, diese 17. Ausgabe aktueller Klangkunst.
Das fanden auch die Besucher, die sich in der Festival Lounge in der Tufa stärkten, austauschten und mit den Künstlern ins Gespräch kamen. "Es macht einfach Spaß, hier mitzuspielen", strahlt die junge Bratschistin Kim vom JungendEnsembleNeueMusik, und auch ihre Kollegin an der Geige reizt das "experimentelle Musizieren". So wie das reife Ehepaar, das jedes Jahr herkommt. "Vieles ist ungewohnt, und alles mögen wir zwar nicht", sagen die beiden Besucher, "aber interessant ist es immer". Das findet offensichtlich auch Komponist Gerhard Stäbler, der ebenfalls Stammgast ist. "Ich werde jedes Jahr durch das Festival inspiriert."

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