Popstars am Küchenherd

Wenn das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts später im Rückblick mit einem bestimmten Kulturphänomen identifiziert werden sollte, dann hat das Fernsehkochen die größten Chancen. Ein Blick in die aktuelle Programmzeitschrift zeigt in dieser Woche rund 150 einschlägige Sendungen. Und jetzt gehen die Köche schon auf Tourneen wie Popstars.

Trier. Wenn am 1. Mai der Fernsehkoch Horst Lichter an der Mosel gastiert, muss es schon die riesige Arena Trier sein. Besser könnte man die grassierende Koch-Mania kaum charakterisieren als mit dem Erfolg des schnauzbärtigen Niederrheiners, der mit dem "Live-Kochen" in Großraumhallen eine eigene Kunstform kreiert hat.

Was seinen Erfolg ausmacht, ist eine skurrile Mischung, die eine soziologische Erforschung allemal wert wäre. Als da wären: ein auf sympathische Weise altbackener und politisch leicht unkorrekter Herrenwitz, ein ebenso wenig zeitgemäßes, aber umso leidenschaftlicheres Plädoyer für fettreiche Geschmacksträger als Grundlage guten Essens, und nicht zuletzt eine - nicht aufgesetzt wirkende - Kumpelhaftigkeit gegenüber Kollegen und Publikum. So einen hätte jeder gerne in seiner Clique, ob bei der Klassenfahrt, dem Kegelausflug oder der Seniorentour.

Aber das hat es schon immer gegeben, ohne dass es die Arena gefüllt hätte. Lichters Triumphe werden erst möglich, weil er das Sahnehäubchen auf der neuen deutschen Koch-Welle darstellt. Wobei es sich um eine virtuelle Welle handelt, weil real in Deutschland weniger und aufwandsärmer gekocht wird als je zuvor. Maggi machte 2008 1,7 Milliarden Euro mit dem Sortiment "Fertiggerichte und Küchenprodukte", die Kollegen von Knorrfix verkauften im gleichen Zeitraum rekordreife 400 Millionen Tütchen Fertigsoßen und -süppchen.

Wie lassen kochen, so wie wir Politik machen lassen



Mit dieser Küchenrealität haben die "Kochduelle", "perfekten Dinner" oder "kulinarischen Abenteuer" nicht das Geringste zu tun. Die Zeiten, da Fernsehköche wie Clemens Wilmenrodt oder Ulrich Clever praktische Lebenshilfe vermittelten, sind lange passé.

Die Wahrheit ist: Es geht gar nicht ums Kochen. Es geht um das Panoptikum menschlicher Eigenschaften, das die reale Umwelt in entfremdeten Zeiten gar nicht mehr liefert.

In den Kochshows sind alle Prototypen vertreten, die einst in natura die Großfamilien bevölkerten: Tim Mälzer, der coole Cousin; Johann Lafer, der charmante Nachbar; Sarah Wiener, die missionarische Tante; Horst Lichter, der Familienclown; Ralf Zacherl, der freakige Neffe; Rainer Sass, der schnoddrige Schwippschwager; Cornelia Poletto, die patente Schwester; dazu der bräsige Onkel Vincenz Klink und, nicht zu vergessen, der etwas undurchsichtige Hausfreund Alfons Schuhbeck, der nach jeder Pleite wieder oben schwimmt. Die Kochshows, das ist Leben aus zweiter Hand, im Grunde wie Big Brother, nur mit intelligenten, hochbezahlten Selbstvermarktern am High-Tech-Herd statt mit Prolls im Container, die für fünf Minuten Ruhm und kleines Schmerzensgeld Männchen machen.

Wir lassen kochen, so wie wir Politik in unzähligen Talkshows machen lassen, während gleichzeitig die Parteien und Initiativen an Auszehrung leiden. Noch nie war so viel Fußball im Fernsehen wie heute, aber Spieler und Betreuer für Jugendmannschaften werden mit der Lupe gesucht.

Wo die Fernsehkameras für eine Messe mit Papst Benedikt aufgestellt werden, tummeln sich Millionen, aber die Kirchen sonntags bleiben immer leerer. Wir haben eine flächendeckende Kultur des Zuschauens und Machen-Lassens, und da passen die Stellvertreter-Handlungen am Herd wie der Deckel auf den Topf. Die Ferne zur Realität hat aber auch mit, wie das auf Neudeutsch so schön heißt, "gender-spezifischen" Fragen zu tun. 90 Prozent der Kochtätigkeiten am heimischen Herd werden nach Expertenschätzung immer noch von Frauen erbracht, aber 90 Prozent der Fernsehköche sind Männer. Letztere laufen, wie man weiß, zu großer Form auf, sobald genügend Publikumsbeifall zu erwarten ist, fühlen sich aber selten dafür zuständig, unter der Woche essensunlustige Kinder mit Fischstäbchen und Brokkoli zu traktieren.

Hochglanz-Ausstattung zum Hochglanz-Kochen



Es lässt sich trefflich in den Gipfeln der Haute Cuisine wandern, wenn die Versorgung im Basislager von weiblichen Koch-Sherpas übernommen wird. Ach so, eh ich's vergesse: Ein gigantisches Geschäft ist das Ganze natürlich auch. Hochglanz-Kochen braucht Hochglanz-Equipment.

Da zückt das entsprechende Publikum schon mal gern die Kreditkarte, und für den kleineren Geldbeutel gibt's für 140 Millionen Euro im Jahr Kochbücher. Und zwar in sinniger Doppelfunktion: Da kann man mit Lichter lernen, wie man sich einen Bauch anfuttert, und mit Mälzer, wie man ihn durch gesunde Ernährung wieder los wird. Nur kaufen muss man halt beide.

TV präsentiert am 1. Mai, 20 Uhr: Horst-Lichter in der Arena in Trier. Tickets: TV-Service-Center in Trier, Bitburg, Wittlich

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